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Schlechte Nachbarschaft

Konflikt zwischen Iran und Aserbaidschan spitzt sich weiter zu.

Iran hat am Montag seinen Botschafter in Baku zur Berichterstattung nach Teheran zurückbeordert. Am Dienstag wurde der aserbaidschanische Gesandte im Iran ins Außenministerium bestellt, um eine Protestnote entgegen zu nehmen. Die Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Staaten sind schon seit Monaten so angespannt, dass solche diplomatischen Aktionen zu regelmäßigen Prozeduren geworden sind. Um den Eurovision Song Contest, der am Sonnabend in Baku stattfinden soll, und um eine angeblich geplante Gay Parade aus diesem Anlass ging es bei den iranischen Protesten vom Wochenanfang allerdings überhaupt nicht - auch wenn Spiegel Online am Dienstag genau diesen Eindruck zu erwecken versuchte, ohne die wirklichen Hintergründe mit einem Satz zu erwähnen.

Teheran hat die Abberufung seines diplomatischen Vertreters damit begründet, dass vor der iranischen Botschaft in Teheran mehrmals feindselige Demonstrationen stattgefunden hätten, bei denen Revolutionsführer Sejed Ali Khamenei „beleidigt“ worden sei. Iranischen Angaben zufolge handelte es sich dabei um Aktionen „separatistischer Elemente“: Die Bewohner Nordirans gehören mehrheitlich zur Volksgruppe der Aseri, der immerhin rund 16 bis 20 Prozent der iranischen Bevölkerung zugerechnet werden. Zahlreiche konkurrierende aserische Organisationen, die von Baku finanziell und propagandistisch, wie etwa durch Rundfunksendungen, unterstützt werden, streben den Anschluss der iranischen Nordprovinzen an Aserbaidschan an.

Über weitere Gründe für die aktuellen diplomatischen Schritte Teherans heißt es in iranischen Agenturmeldungen: Aserbaidschan habe in den vergangenen Monaten „seine islamfeindliche Politik intensiviert“. Genannt werden in diesem Zusammenhang, ohne jedoch konkrete Einzelheiten anzuführen, die „Zerstörung von Moscheen“, das „Verbot des Hidschab“ – ein Bekleidungsstück für Frauen, das das Haar einschließlich des Ansatzes bedeckt und weit über die Schultern fällt -, die „Verhaftung muslimischer Aktivisten“, die „Tötung von Islamisten“ und die „Beleidigung religiöser Gelehrter“. Die Bevölkerung Aserbaidschans ist, wie die Irans, überwiegend schiitisch. Allerdings fährt das Regime der ehemaligen Sowjetrepublik einen betont „säkularen“ Kurs.

Der Iran beobachtet vor allem die enge Zusammenarbeit zwischen Aserbaidschan und Israel mit Misstrauen und Ablehnung. Befürchtet wird unter anderem, dass Baku der israelischen Luftwaffe die Benutzung der noch aus der Sowjetzeit stammenden großen Militärflughäfen für Angriffe gegen Iran erlauben könnte. Solche Gerüchte tauchen immer wieder in westlichen Medien auf, scheinen aber oft nur den Zweck zu verfolgen, die Beziehungen zwischen beiden Ländern noch weiter zu vergiften. Aserbaidschan hat diese Berichte mehrfach kategorisch dementiert.

Fakt ist indessen, dass im Februar ein umfangreiches Waffengeschäft zwischen Israel und Aserbaidschan bekannt wurde. Der Gesamtwert soll zwischen 1,5 und 1,6 Milliarden Dollar liegen. Israel wird unter anderem Drohnen, Luftabwehr-Systeme und Raketen liefern. Aserbaidschan verfügt durch seine Einnahmen aus dem Export von Erdöl und Naturgas über eine gut gefüllte Staatskasse und hat in den vergangenen Jahre viel Geld für moderne Waffen und die Verstärkung seiner Streitkräfte ausgegeben. Das Regime in Baku macht kein Geheimnis daraus, dass es damit zu gegebener Zeit einen Revanchekrieg gegen das benachbarte Armenien führen will, um die frühere Enklave Bergkarabach und deren Umgebung zurück zu erobern.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 24. Mai 2012