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Noch tiefer ins Loch

Trotz versprochener Erleichterungen soll sich der Sanktionsdruck auf Iran in den kommenden Monaten weiter verstärken.

In der Beschreibung der Konsequenzen des Genfer Abkommen sind sich iranische und israelische Medien und Politiker auf geradezu komische Weise einig: Iran hat gesiegt! Dazu gehört die synchrone Behauptung, auf der einen Seite im triumphierenden und auf der anderen Seite im jammernden und anklagenden Ton vorgetragen, dass "die Auflösung der Sanktionen“ begonnen habe.

Wenn man den Schilderungen mancher iranischer Journalisten glauben will, stehen vor der durch das Genfer Abkommen geöffneten Tür schon die Abgesandten westlicher Unternehmen Schlange. Ranghohe Funktionäre des zuständigen Teheraner Ministeriums schwärmen davon, den Ölexport in kurzer Zeit wieder auf die Höhe von 2,5 Millionen Barrel am Tag zu bringen, die er noch vor zwei oder drei Jahren hatte. Im laufenden Jahr liegt er im Durchschnitt bei etwas über einer Million bpd.

Ein einflussreicher Teheraner Wirtschaftsfunktionär setzte vor einigen Tagen die Behauptung in die Welt, die USA hätten bereits 8 Milliarden Dollar aus eingefrorenen iranischen Guthaben freigegeben. Ein Regierungssprecher bestätigte angeblich die Meldungen, dementierte aber wenige Stunden später. Möglicherweise hatten iranische Journalisten wieder einmal nicht richtig hingehört. Um ihre Aufgabe, das Genfer Abkommen mit wackligen, zweideutigen Formulierungen, irreführenden Headlines oder einfach mit Lügen schönzuschreiben, sind sie nicht zu beneiden.

In Wirklichkeit hat die erste Phase des Abkommens, das sechsmonatige Moratorium, noch gar nicht begonnen. Es steht nicht einmal definitiv fest, wann dieses in Kraft treten soll. Zentrale Sachfragen wurden in der Genfer Vereinbarung nicht geklärt, sondern blieben Expertengesprächen überlassen. Nicht eine einzige Sanktion wurde bisher suspendiert oder gelockert.

Außerdem: Die für die erste Phase versprochenen Erleichterungen sind geringfügig. Sie betreffen kaum die Chancen westlicher Unternehmen, die nicht ohnehin schon mit dem Iran legale Geschäfte machen, indem sie zum Beispiel Medikamente, medizinisches Gerät oder Lebensmittel liefern, oder die noch bis vor wenigen Monaten im Iran tätig waren. Zu letzten gehören einige internationale Autofirmen, darunter Renault. Sie hatten Teile für die bis vor kurzem noch exportstarke iranische Autoproduktion geliefert und zudem zigtausende Privatfahrzeuge in den Iran verkauft.

Die US-Regierung beziffert den Gesamtwert der für die erste Phase versprochenen Sanktionserleichterungen mit rund 7 Milliarden Dollar. Das ist eine wahrscheinlich zu niedrige Schätzung. Im Genfer Abkommen stehen überhaupt keine konkreten Zahlen. Die Obama-Administration dürfte dazu neigen, diesen Teil der Abmachungen aus innenpolitischen Gründen kleinzureden. Auf der anderen Seite sind Behauptungen israelischer und pro-israelischer Quellen, es handele sich in Wirklichkeit um 20 oder gar 30 Milliarden, nichts weiter als heiße Luft.

Ganz sicher ist: Schätzungsweise 95 Prozent der Sanktionen bleiben auch nach dem Beginn der ersten Phase des Genfer Abkommens in Kraft. Über sie soll erst entschieden werden, wenn Iran zu einer "umfassenden, endgültigen Regelung" bereit ist, die voraussichtlich tiefe Einschnitte in das iranische Atomprogramm erfordern würde.

Dieser Vorbehalt gilt insbesondere für den zweifellos interessantesten Posten, die Ausbeutung der iranischen Erdöl- und Erdgasvorkommen sowie ausländische Investitionen in deren Entwicklung. Iranische Experten beziffern den direkten Finanzbedarf mit rund 50 Milliarden Dollar. Was auf diesem Gebiet zur Zeit passiert, ist aber lediglich, dass europäische und asiatische Konzerne sich in Teheran melden, um ihr prinzipielles Interesse mitzuteilen, künftig gern wieder im Iran tätig zu werden: Sofern und sobald das irgendwann von der US-Administration erlaubt werden sollte, versteht sich.

US-Außenminister John Kerry hat in den vergangenen Tagen beim pro-israelischen Saban-Forum und in einer Kongressanhörung auf zwei entscheidende Schwachstellen der verheißenen Sanktionserleichterungen hingewiesen. Erstens: Sie treten nicht etwa sofort nach Beginn des Moratoriums alle auf einmal in Kraft, sondern werden häppchenweise verabreicht. Iran kommt also nícht sechs Monate lang in ihren Genuss, sondern nur für erheblich kürzere Zeiträume. Darüber steht nichts im Genfer Abkommen, sondern das ist gegenwärtig Diskussionsstoff zwischen Iran und der internationalen Verhandlungsgruppe.

Zweitens: Den mit insgesamt 7 Milliarden Dollar veranschlagten Erleichterungen stehen 15 bis 25 Milliarden gegenüber, die Iran im Moratoriums-Halbjahr durch die fortbestehenden Sanktionen, vor allem gegen seinen Ölexport, verlieren wird. Wohlverstanden: neue, zusätzliche Verluste. Kerry wies in diesem Zusammenhang auch stolz darauf hin, dass Iran durch die Maßnahmen der US-Administration seit Anfang 2012 allein im Ölgeschäft 80 Milliarden Dollar eingebüßt habe.

Darüber hinaus hat das US-Finanzministerium angekündigt, dass es in den kommenden Wochen und Monaten die Überwachung der fortbestehenden Sanktionen und die Verfolgung von Verstößen nochmals erheblich verschärfen wird. Da die Rechtsunsicherheit groß ist und die drohenden Strafen im zwei- oder gar dreistelligen Millionenbereich liegen, ist damit zu rechnen, dass die versprochenen Sanktionserleichterungen nur langsam, zaghaft oder gar nicht ausgeschöpft werden.

Vor diesem realen Hintergrund wird die Prognose von David Cohen plausibel, der am Mittwoch im neokonservativen Wall Street Journal schrieb: „Ich habe volles Vertrauen, dass der Sanktionsdruck auf Iran weiter zunehmen wird. In sechs Monaten, wenn die Übergangsvereinbarung ausläuft, wird Iran sogar noch tiefer im Loch stecken als heute.“

Cohen ist als Staatssekretär im Finanzministerium Leiter des Ressorts „Terrorismus und Finanzspionage“, das für die Iran-Sanktionen verantwortlich ist.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 14. Dezember 2013