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Nicht an Verhandlungen interessiert
Die USA und ihre europäischen Verbündeten lehnen die Wiederaufnahme von Gesprächen mit dem Iran ab. Sie reagierten damit am Mittwoch auf einen Brief, den der iranische Chefunterhändler im Atomstreit, Said Dschalili, in der vorigen Woche an Catherine Ashton geschrieben hatte. Die Außenpolitik-Chefin der EU hält im Auftrag der „Iran-Sechs“ den Kontakt nach Teheran. Neben den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien gehören auch China und Russland der Sechsergruppe an. Obwohl es noch keine offizielle Antwort gibt, verkündete der US-amerikanische Vertreter bei der Atomenergiebehörde in Wien (IAEA), Glyn Davies, Dschalilis Schreiben enthalte nichts Neues, das ein Zusammentreffen rechtfertigen könnte. Die Sechsergruppe und der Iran hatten letztmals im Januar in Istanbul getagt, ohne einen Termin für die Fortsetzung der Gespräche zu vereinbaren.
Am Freitag ging eine fünftägige routinemäßige Sitzung des IAEA-Vorstands zu Ende. Auf der Tagesordnung stand unter anderem das zivile Atomprogramm des Iran. In seinem jüngsten Vierteljahresbericht hatte der Generaldirektor der UN-Behörde, Jukija Amano, von „zunehmender Sorge“ über die mögliche Existenz geheimer iranische Atomwaffenpläne gesprochen. Entsprechende Hinweise lägen von verschiedenen nicht genannten Seiten vor. Die IAEA hat sich bisher geweigert, der iranischen Seite die angeblich belastenden Dokumente zur Prüfung vorzulegen. Iran vermutet Fälschungen westlicher Geheimdienste.
Auf der Tagung in Wien sagte Amano jetzt, er hoffe die detaillierten Gründe für die „Besorgnis“ seiner Behörde „in naher Zukunft“ vorlegen zu können, „so dass alle Mitgliedstaaten voll informiert sind“. Anonyme diplomatische Kreise äußerten die Erwartung, dass der Japaner in seinem nächsten, im November fälligen Vierteljahresbericht Näheres über die gegen den Iran erhobenen Vorwürfe schreiben könnte. Der Vertreter der USA in Wien, Davis, forderte Amano auf, „so schnell wie möglich“ eine „vollständige Einschätzung der möglichen militärischen Dimensionen des iranischen Atomprogramms“ vorzulegen. Der iranische Delegierte bei der IAEA, Ali Asghar Soltanieh, sagte, sein Land sehe dem Novemberbericht vertrauensvoll entgegen. Iran habe zu allen bisher konkret erhobenen Vorwürfen ausführlich und genau Stellung genommen.
In Amanos jüngstem Bericht wird erwähnt, dass die iranischen Stellen in den vergangenen Monaten „größere Transparenz zeigten als bei früheren Gelegenheiten“. Tatsächlich hatte der zuständige Abteilungsleiter der IAEA, Herman Nackaerts, im August auch Anlagen und Produktionsprozesse besichtigen können, die nach dem Atomwaffensperrvertrag nicht in die Zuständigkeit der internationalen Behörde fallen. Unter anderem zeigten ihm die Iraner Fabriken zur Herstellung von Zentrifugen, die für die Uran-Anreicherung benötigt werden, und zur Produktion von schwerem Wasser, das der Iran später in einem noch im Bau befindlichen Reaktor verwenden will.
Darüber hinaus hat der Iran angeboten, dass die Inspektoren der IAEA einen „vollständigen Überblick“ über alle Aspekte des Atomprogramms erhalten können, sobald die Sanktionen aufgehoben werden. Die USA und ihre europäischen Verbündeten Deutschland, Frankreich und Großbritannien weigerten sich, die neue Entwicklung auch nur zur Kenntnis zu nehmen, und sprachen von einer iranischen „Charmeoffensive“, auf die man sich nicht einlassen werde.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 17. September 2011