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Mit Mord und Hysterie

Westliche Regierungen steigern ihre Kampagne gegen Iran noch weiter. EU will Ölboykott beschließen.

Bei einem Bombenanschlag in der iranischen Hauptstadt Teheran wurde am Mittwoch erneut ein Wissenschaftler getötet. Es war das fünfte Attentat dieser Art seit Januar 2010. Iranische Nachrichtenagenturen geben den Namen des gestern Ermordeten mit Mostafa Ahmadi Roschan an. Der 32-Jährige hatte ersten Meldungen zufolge zu Problemen der Ölwirtschaft promoviert, arbeitete als Dozent an Teherans Technischer Universität und war außerdem stellvertretender Direktor für „kommerzielle Angelegenheiten“ in der Uran-Anreicherungsanlage von Natanz. Es gibt bisher keine ernst zu nehmenden Hinweise, dass Roschan Nuklearwissenschaftler war oder gar eine relevante Position im iranischen Atomprogramm hatte.

Nach Augenzeugenberichten hatte ein Motorradfahrer eine magnetische Haftbombe an dem Auto befestigt, mit dem Roschan auf dem Weg zur Arbeit in der Universität war. Zwei Mitfahrer wurden verletzt. Die Durchführung gleicht den Anschlägen auf zwei andere iranische Wissenschaftler am 29. November 2010. Dabei war einer von ihnen, der Atomingenieur Madschid Schahriari, getötet worden, während der Universitätsprofessor Fereidun Abbasi verletzt überlebte. Iranische Politiker machen für diese Attentate westliche Geheimdienste, namentlich den israelischen Mossad, aber auch die CIA und den britischen MI6 verantwortlich.

Unmittelbar vor dem gestrigen Anschlag hatten die USA und ihre europäischen Partner die Kampagne gegen Iran weiter angeheizt. Äußerer Anlass war die offizielle Mitteilung Teherans, dass eine zweite Anreicherungsanlage, die sich in Fordow bei Ghom befindet, den Betrieb aufgenommen hat. Uran soll dort auf 20 Prozent angereichert werden. Das Material wird benötigt, um Brennelemente für einen kleinen Reaktor in Teheran herzustellen, der Isotope für die Behandlung von Krebspatienten produziert. Iran ist zu diesem aufwendigen Prozess gezwungen, weil es aufgrund US-amerikanischen Drucks nicht möglich war, diese Brennelemente auf dem internationalen Markt zu kaufen, was sehr viel billiger gewesen wäre.

Die Anreicherung auf 20 Prozent läuft in Natanz schon seit Februar 2010, ist also – im Gegensatz zu den aufgeregten Kommentaren westlicher Politiker und Medien – kein neuer Schritt. Allerdings werden in Fordow zwei modernere Zentrifugentypen getestet, die langfristig die bisher verwendeten überalterten, wenig effektiven und hochgradig störanfälligen Modelle ersetzen sollen. Außerdem liegt die dortige Anlage unterirdisch unter einem Bergmassiv und wäre damit stärker als Natanz vor den immer wieder angedrohten Luftangriffen der USA und Israels geschützt.

US-Außenministerin Hillary Clinton wetterte am Dienstag, der Start der Anreicherung in Fordow beweise „wieder einmal die unverhohlene Missachtung des iranischen Regimes für seine Verantwortlichkeiten“ und zeige, „dass die zunehmende Isolierung des Landes selbstverschuldet ist“. Obwohl der Zweck des Anreicherungsprozesses völlig eindeutig ist, ein Missbrauch für militärische Zwecke ausgeschlossen ist und die Anlage ständig von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kontrolliert wird, behauptete Clinton, es gebe „keine plausible Rechtfertigung für diese Produktion“.

Von einem „Schritt der weiteren Eskalation“ sprach auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle. Sein britischer Kollege William Hague verurteilte die Inbetriebnahme von Fordow als „provokativen Akt, der Irans Beteuerungen, dass sein Atomprogramm gänzlich zivil sei, noch weiter untergräbt“. Das französische Außenministerium erklärte, der iranische Schritt „lässt uns keine andere Wahl als die Verschärfung der internationalen Sanktionen und, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern und allen dazu bereiten Ländern, die Anwendung von Maßnahmen mit einer beispiellosen Intensität und Strenge“.

Die EU hat bereits angekündigt, dass ihre Außenminister am 23. Januar einen Einfuhrstopp für iranisches Erdöl beschließen wollen. Europa ist neben China der größte Abnehmer. Von einem Boykott besonders betroffen wären Griechenland, Italien und Spanien.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 12. Januar 2012