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Kurzes Theater

Russland betont Differenzen in der Einschätzung des Iran-Konflikts. Atommacht Israel will „breite Koalition der Nationen“ bilden.

Das Moskauer Außenministerium ist westlichen Spekulationen entgegengetreten, dass Russland sich unter dem Eindruck des jüngsten Berichts der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) dem Ruf nach schärferen Strafmaßnahmen gegen Iran angeschlossen habe. Es gebe derzeit keine Diskussionen im UN-Sicherheitsrat über eine neue Sanktionsresolution, sagte Ministeriumssprecher Andrej Nesterenko am Freitag. Am selben Tag betonte der stellvertretende Außenminister Sergej Rybakow, dass Russland den im Westen zunehmend verwendeten Begriff der „verkrüppelnden Sanktionen“ ebenso wie allgemeine Strafmaßnahmen gegen die iranische Wirtschaft ablehnt. Außenminister Sergej Lawrow erklärte, dass in der Einschätzung des Konflikts erhebliche Differenzen zwischen Russland und den USA bestehen.

Zuvor hatte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu bei einem Besuch in Moskau für „beißende, bittere Sanktionen“ geworben, „die auf überzeugende Weise die Ölindustrie, die Importe, Exporte und die Raffinerie-Industrie treffen müssen“. Auf einer Tagung der Konferenz der Präsidenten der Großen Jüdischen Organisationen Amerikas in Jerusalem rief Israels Präsident Schimon Peres dazu auf, „eine breite Koalition der Nationen zu schaffen, die der iranischen Bedrohung entgegentreten kann“. In der Konferenz der Präsidenten sind die 52 größten jüdischen Organisationen der USA vertreten. Israel, das sich an die Spitze der Kampagne gegen Iran zu setzen versucht, ist das einzige Land des Nahen und Mittleren Ostens, das nicht dem Sperrvertrag beigetreten ist und das Atomwaffen besitzt. Ihre Zahl wird auf 100 bis 200 geschätzt.

Unterdessen scheint der Ende voriger Woche inszenierte Rummel westlicher Medien und Politiker um den neuen IAEA-Bericht bereits wieder abgeklungen. Die Aufmerksamkeit hatte sich vor allem auf einen Satz konzentriert, in dem die Behörde „Sorgen über die mögliche Existenz von früheren oder laufenden undeklarierten Aktivitäten hinsichtlich der Entwicklung eines nuklearen Raketensprengkopfes“ bekundete. Die BILD-Zeitung hatte daraufhin phantasiert: „Nun ist es offiziell: Der Iran baut an Atomsprengköpfen, will die Welt mit Massenmord bedrohen!“

Zu Recht hatte dagegen der iranische Vertreter bei der IAEA, Ali-Asghar Soltanieh festgestellt, die jetzt genannten „Sorgen“ seien auch schon in früheren Berichten der Behörde angesprochen worden. „Sie sind daher nichts Neues, sondern werden allmählich ermüdend“. Tatsächlich enthält der Bericht keinerlei neue Erkenntnisse, sondern nur eine andere politische Bewertung. Diese ist offenbar durch den im Dezember erfolgten Wechsel an der Spitze der IAEA bedingt. Die USA und ihre Verbündeten hatten schon im vergangenen Jahr starken Druck auf die Behörde ausgeübt, um entsprechende Aussagen in dem am 16. November 2009 vorgelegten Bericht zu erzwingen. Sie arbeiteten dabei vor allem mit dem Leiter der Überwachungsabteilung der IAEA, Olli Heinonen, zusammen. Der damalige Generaldirektor der Behörde, Mohammed ElBaradei, ließ sich davon jedoch nicht beeinflussen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 22. Februar 2010