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Iran austrocknen

EU-Außenminister beschließen neue Sanktionen. Großbritannien weist alle iranischen Diplomaten aus.

Die Europäische Union verschärft ihre Sanktionen gegen Iran. Am Donnerstag beschlossen die Außenminister der EU in Brüssel, weitere 143 Unternehmen und 37 Personen mit Einreiseverboten und Kontenbeschlagnahmung zu belegen. Über die Forderung der US-Regierung und einiger europäischer Staaten nach noch weiter gehenden Strafmaßnahmen konnte auf dem Treffen keine Übereinstimmung erreicht werden. Die beschlossene Formulierung besagt, man wolle an zusätzlichen „starken Sanktionen“ arbeiten, die „auch den Energiesektor“ betreffen sollen.

Gemeint ist damit hauptsächlich ein Verbot der Einfuhr von Erdöl aus dem Iran. Während dieses nur knapp 6 Prozent des Bedarfs der EU ausmacht, sind einige Länder, darunter Griechenland und Italien, in erheblich größerem Umfang von diesen Importen abhängig. Als Scharfmacher betätigte sich auf dem Brüsseler Treffen Bundesaußenminister Guido Westerwelle: Er forderte, „im Bereich der Energie und des Finanzsektors“ anzusetzen, um „die Quellen für das iranische Atomprogramm auszutrocknen“. In der Realität käme das dem Versuch gleich, die gesamte iranische Wirtschaft „auszutrocknen“ und die Bevölkerung auszuhungern.

Zuvor hatte die britische Regierung am Mittwoch die Schließung ihrer Botschaft in Teheran bekannt gegeben. Gleichzeitig wurde Iran aufgefordert, seine Vertretung in London zu schließen. Alle Mitarbeiter der iranischen Botschaft müssen spätestens am heutigen Freitag Großbritannien verlassen. Im Unterhaus erläuterte Außenminister William Hague, dass dieser Schritt keinen vollständigen Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeute, wohl aber deren Herunterfahren auf das für die Aufrechterhaltung von Kontakten erforderliche Minimum.

London reagierten damit auf die Teheraner Studentenproteste vom Dienstag. Mehrere tausend Menschen hatten vor der britischen Botschaft und vor einer britischen Diplomatenresidenz in einem anderen Stadtteil demonstriert. Dabei waren einige Demonstranten in die beiden Gebäudekomplexe eingedrungen und hatten Einrichtungen zerstört.

Zuvor hatte das iranische Parlament am Sonntag nahezu einstimmig gefordert, den britischen Botschafter innerhalb von zwei Wochen auszuweisen und die Beziehungen auf die Ebene von Geschäftsführern zu reduzieren. Die Abgeordneten reagierten damit auf die jüngsten Sanktionen der Londoner Regierung, insbesondere das vollständige Verbot aller Transaktionen zwischen den Geldinstituten beider Länder.

Während sich das iranische Außenministerium in London offiziell für das „Benehmen einiger weniger Demonstranten“ entschuldigte, äußerte Parlamentspräsident Ali Laridschani Verständnis für die Wut der Protestierer, die auf die mehr als hundert Jahre zurückreichende feindselige britische Politik gegenüber dem Iran zurückzuführen sei. Laridschani war Chefunterhändler im internationalen Streit um das iranische Atomprogramm seit 2005. Er legte diese Funktion im Oktober 2007 wegen Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Mahmud Ahmadinedschad nieder. Der 53Jährige ist einer der einflussreichsten Politiker des Landes und gilt für jedes Regierungsamt als gut.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. Dezember 2011