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Front gegen Ahmadinedschad

Irans Innenpolitik wird von einer Kampagne des „konservativen“ Klerus gegen Mahmud Ahmadinedschad erschüttert. Der Streit erreichte einen neuen Höhepunkt mit heftigen Angriffen gegen den Präsidenten, die von Predigern mehrerer bedeutender Moscheen in Teheran und mindestens einem halben Dutzend anderer großer Städte während des Freitagsgebets vorgetragen wurden. Der einflussreiche Kleriker Ahmad Khatami warnte den Präsidenten vor einer „abweichlerischen Bewegung“ in seiner Umgebung und richtete scharfe Vorwürfe gegen Ahmadinedschads engsten Berater, Esfandiar Rahim Maschaei. Die versammelten Gläubigen antworteten mit Schmährufen gegen „die Gegner des Obersten Führers“ Ajatollah Ali Khamenei.

Ebenfalls am Freitag gab es Gerüchte, dass rund 25 Personen verhaftet worden seien, die in mehr oder weniger enger Beziehung zu Maschaei gestanden haben sollen. Die Anklage lautet angeblich auf Geisterbeschwörung und Wahrsagerei. Den unbestätigten Meldungen inoffizieller iranischer Websites zufolge befindet sich unter den Verhafteten auch der Kleriker Abbas Ghaffari, der gelegentlich spöttisch als „Ahmadinedschads Exorzist“ bezeichnet wird. Er soll eine führende Rolle bei der Produktion eines hunderttausendfach auf DVDs verbreiteten Dokumentarfilms „Das Erscheinen steht unmittelbar bevor“ gespielt haben. Es geht darin um den legendären 12. Imam, dessen Wiederkehr die Schiiten erwarten. Von Ahmadinedschad ist bekannt, dass er sehr intensiv an diese Prophezeiung glaubt. In dem Film wird angeblich das Auftreten des 12. Imam für den Januar 2012 vorausgesagt. Das stellt nach vorherrschender theologischer Interpretation eine Ketzerei dar, da Spekulationen über den Zeitpunkt dieses Ereignisses verboten sind.

Ob es überhaupt Verhaftungen gegeben hat und wie groß die Zahl der Betroffenen ist, kann derzeit nicht sicher gesagt werden. Eindeutig, da offiziell bestätigt, ist hingegen der Streit zwischen Ahmadinedschad und Khamenei um Geheimdienstminister Heidar Moslehi. Der Präsident hatte ihn am 17. April zum Rücktritt veranlasst. Wenige Stunden später ordnete der „Oberste Führer“ seine Wiedereinsetzung an. Aus Protest nahm Ahmadinedschad zehn Tage lang nicht an Kabinettssitzungen teil. Erst nach einem dringenden Appell von 216 der 290 Parlamentsabgeordneten, sich dem Willen von Ajatollah Khamenei zu unterwerfen und zur Regierungsarbeit zurückzukehren, nahm der Präsident am 1. Mai erstmals wieder an einer Sitzung teil. Bei dieser war allerdings Moslehi nicht anwesend, der zufällig gerade in der Pilgerstadt Ghom weilte.

Warum Ahmadinedschad den Minister nicht mehr in seiner Regierung haben wollte, ist nicht zuverlässig bekannt. Gerüchte besagen, dass Moslehis Leute die Diensträume von Maschaei mit Abhörgeräten „verwanzt“ hatten. Außerdem soll Moslehi sich gegen Versuche des Präsidenten gewehrt haben, einige führende Mitarbeiter seines Ministeriums zu entlassen.

Vor Ausbruch dieses Streits hatten die „Konservativen“ durchgesetzt, dass Maschaei am 9. April seinen Posten als Büroleiter von Ahmadinedschad verlor. Der Präsidentenberater ist den „Konservativen“ seit Jahren verhasst. Er will die Macht der Kleriker einschränken und die der gewählten Volksvertreter stärker, tritt für eine Erweiterung der Frauenrechte ein, und betont, dass Iran nicht nur eine islamische Identität hat, sondern auch eine mehr als tausend Jahre weiter zurückreichende Geschichte als große Kulturnation. Außerdem wird ihm seine angebliche Äußerung nachgetragen, Iran sei ein Freund aller Völker, auch des israelischen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 9. Mai 2011