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Folgen einer Resolution

Russland fürchten Auswirkungen der Iran-Sanktionen auf eigene Unternehmen

Die Verwirrung über Russlands Interpretation der neuen UN-Sanktionen gegen Iran hält an. Im Mittelpunkt stehen kontroverse Aussagen über den 2005 zwischen beiden Staaten vereinbarten Kauf russischer Flugabwehrraketen vom Typ S-300. Sicher ist nur, dass Moskau nach politischen Interventionen der USA und Israels die Erfüllung des Vertrages blockiert hat. Iran hat darauf mit zunehmend deutlicher Verärgerung reagiert und im April angekündigt, ein vergleichbares eigenes Abwehrsystem zu entwickeln.

Umstritten ist in Moskau jedoch die Frage, ob die S-300 zu den Waffen gehört, deren Lieferung an Iran aufgrund der am Mittwoch vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Resolution ausdrüchlich verboten ist. Jüngster Stand war am Freitagnachmittag, dass sich Dmitri Medwedew mit einem Machtwort in das immer peinlicher geratende Hin und Her eingeschaltet hat. Nach Aussagen von Außenminister Sergei Lawrow wird der Präsident demnächst ein Dekret erlassen, in dem genau aufgelistet ist, welche russischen Waffen von der Resolution betroffen sind und welche nicht.

Kurz zuvor schien Lawrow seiner Sache noch ganz sicher zu sein: Die S-300, verkündete er mehrmals und ließ es auch durch Sprecher seines Ministeriums mitteilen, falle eindeutig nicht unter das Verbot. Maßgeblich sei lediglich das UN-Register Konventioneller Waffen. Danach gehörten zwar tragbare Flugabwehrwaffen in die verbotene Kategorie, nicht aber die S-300. Diese Interpretation wird anscheinend auch vom amerikanischen Außenministerium anerkannt: Dessen Sprecher Philip Cowley bestätigte während einer Pressekonferenz am Freitag am Freitag auf Nachfragen sogar zwei Mal ausdrücklich, dass die S-300 nicht auf der Liste steht. Zugleich verwies er anerkennend darauf, dass Russland in dieser Frage bisher „Verantwortungsbewusstsein und Zurückhaltung“ gezeigt habe.

Die Verwirrung war am Donnerstag durch einen Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax ausgelöst worden. Dort wurde die angebliche Aussage einer anonymen „Quelle“ in der russischen Waffenindustrie zitiert, dass der S-300-Kontrakt aufgrund der UN-Resolution „selbstverständlich eingefroren“ worden sei. Während das Außenministerium und der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses der Duma, Konstantin Kosachow, dieser Behauptung sofort widersprachen, äußerten „Experten“ mehrerer russischer Think Tanks ihre Zustimmung: Nicht nur die Lieferung der S-300, sondern auch Wartungsarbeiten an schon früher gelieferten russischen Flugabwehrsystemen und sogar die Fertigstellung des iranischen Atomreaktors Buschehr seien durch die Resolution verboten. Damit erweisen sich manche russische Think Tanks wieder einmal als „amerikanischer“ als die US-Regierung selbst.

Indessen sorgt man sich in Russland vor unerwünschten Folgen der Resolution. Als hätte man sich darüber vorher gar keine Gedanken gemacht, erklärte das Außenministerium am Mittwoch: „Wir können Signale nicht überhören, die uns hinsichtlich der Absicht einiger unserer Partner erreichen, die damit beginnen, über zusätzliche, härtere restriktive Maßnahmen gegen Iran als die von der UN-Sicherheitsratsresolution vorgesehenen nachzudenken.“ Sollten davon russische Unternehmen oder Individuen betroffen sein, behalte Russland sich „Vergeltungsmaßnahmen“ vor, warnte das Außenministerium.

In Wirklichkeit ist seit Monaten bekannt, dass die Regierenden von USA und EU darüber nicht nur nachdenken, sondern sich schon weitgehend geeinigt haben. Im Kongress ist außerdem ein Gesetz beschlussreif, das Strafen gegen ausländische Firmen vorsieht, die Iran mit Benzin beliefern oder in den iranischen Energiesektor investieren. Die Mehrheit beider Häuser will trotz eindringlicher Bitten Obamas keine Ausnahmen für russische und chinesische Unternehmen zulassen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 12. Juni 2010