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Ente oder nicht?

Streit um ein im Iran veröffentlichtes Interview mit dem neuen ägyptischen Präsidenten.

Rätselraten um ein angebliches Interview mit dem neuen ägyptischen Präsidenten Mohamed Morsi: Die iranische Nachrichtenagentur Fars hatte am Montag Auszüge daraus veröffentlicht und angekündigt, in Kürze auch ein Transkript des gesamten Gesprächs zur Verfügung zu stellen. Kurz darauf meldete die ägyptische Nachrichtenagentur MENA unter Berufung auf einen Sprecher des Präsidenten, Morsi habe der Fars kein Interview gegeben; alles, was diese dazu veröffentlicht habe, sei „ohne Grundlage“.

Inzwischen hat Fars das angebliche Interview auf ihre Website gestellt. Darunter befindet sich ein Link zu einer knapp 14minütigen Tonaufnahme in arabischer Sprache, bei der es sich um das Gespräch mit Morsi handeln soll. Die Agentur steht weiterhin zu ihrer Behauptung, dass dieses tatsächlich am Sonntag, wenige Stunden vor der offiziellen Verkündung des Wahlergebnisses, stattgefunden habe.

So weit bisher aus dem englischsprachigen Dienst von Fars zu erkennen ist, enthielt das umstrittene Interview im Wesentlichen keine wirklich sensationellen Mitteilungen. Unter anderem wurde Morsi mit den Aussagen zitiert, er strebe eine Verbesserung der Beziehungen zum Iran und eine „Überprüfung“ der ägyptisch-israelischen Friedensabkommen von 1978/79 an. Beides sind bekannte Positionen der Muslimbrüder, denen Morsi bis zur Wahl als Präsident angehörte. Iran hatte die Beziehungen zu Ägypten 1980 abgebrochen, nachdem dieses den gestürzten Schah Reza Pahlavi aufgenommen hatte. Teheran bemüht sich jedoch schon seit mehr als zehn Jahren um eine Normalisierung.

Problematischer als diese beiden Punkte könnte die Morsi von Fars zugeschriebe Aussage sein, dass die „Gerüchte“ falsch seien, sein erster Staatsbesuch als Präsident werde ihn nach Saudi-Arabien führen. Das wäre angesichts der engen Beziehungen der ägyptischen Muslimbrüder zu den Saudis, von denen sie finanziell gesponsert werden, eigentlich nur erwartungsgemäß. Morsi soll jedoch, laut Fars, gesagt haben, dass es sich dabei lediglich um einen „Vorschlag mehrerer junger Leute“ handele und dass er diesbezüglich noch keine Pläne gemacht habe.

Aus der kurzen MENA-Meldung geht nicht hervor, wer der „Sprecher“ Morsis war, der das Stattfinden eines Interviews mit Fars bestritten hat. Hauptsprecher des neuen Präsidenten ist schon seit langem Gehad Haddad, der zugleich einer seiner wichtigsten Vertrauten und Berater ist. Er ist dafür bekannt, dass er Morsis Positionen in einem für westliche Interessen schmackhaften Sinn zu interpretieren versucht. Die Washington Post zitierte ihn gerade erst am Dienstag wieder mehrmals in einem Artikel mit dem programmatischen Titel: „Ägyptens Präsident ist US-kritisch, aber er könnte ein Verbündeter werden“. Letztlich ist nicht auszuschließen, dass das Gespräch wirklich stattgefunden hat, aber möglicherweise die Veröffentlichung noch nicht autorisiert war.

Der US-amerikanische Propagandasender Radio Free Europe/Radio Liberty berichtete am Montag nach dem Bekanntwerden des Dementis, die Nachrichtenagentur IRNA habe Fars wegen der Veröffentlichung des Interviews scharf angegriffen und sogar behauptet, die Stimme auf der Tonaufnahme sei gar nicht die von Morsi.

Tatsächlich veröffentlichen iranische Agenturen auffallend oft Falschmeldungen und werfen sich das dann gegenseitig vor. Press-TV, die am Montag sofort das ägyptische Dementi meldete, hatte beispielsweise am Sonntag berichtet, Syrien habe 40 Deutsche wegen Waffenschmuggels verhaftet.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 27. Juni 2012