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Eintagsente

Der Krieg gegen Iran kommt näher: Die Lügen werden schriller und ihre Verfallszeit kürzer. Was gestern Schlagzeile war, ist morgen schon wieder aus den Blättern verschwunden. Allen voran marschiert die BILD, deren Verhältnis zur Wahrheit und zum professionellen Journalismus ständig unangenehm auffällt.

BILD-Schlagzeile am Donnerstag: „Iran plant Anschläge in Deutschland“. Die Einleitungssätze des Artikels: „Der Iran plant offenbar, US-Streitkräfte auf deutschem Boden anzugreifen. Das geht aus einem Beschluss des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof hervor, der BILD vorliegt.“

Das beliebte Wort „offenbar“ hat im Mainstream-Journalismus einen seltsamen Bedeutungswandel durchgemacht: Als ob sie niemals richtig Deutsch gelernt hätten, verwenden viele Kollegen es standardmäßig, um absolut unbewiesene, keineswegs evidente Behauptungen oder bloße Gerüchte aufzuwerten. Im aktuellen Fall geht es um ein Ermittlungsverfahren – BILD kennt natürlich sogar das Aktenzeichen -, das die Bundesanwaltschaft gegen einen „deutschen Geschäftsmann“ eingeleitet hat, der angeblich „konspirativen Kontakt mit der iranischen Botschaft in Berlin gepflegt haben soll“. Was allerdings ganz genau in der Akte steht, die dem Blatt doch angeblich vorliegt, war der BILD nicht zu entnehmen. Nur so viel, dass es um Anschläge gegen „Militärflugplätze in Deutschland“ gegangen sei und dass bei dem Betroffenen am 2. November eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe.

Die Meldung der BILD fand im übrigen Mainstream zunächst mehrere Stunden lang kaum Beachtung. Das änderte sich erst, als sie auf einer Pressekonferenz am Donnerstagmittag von Generalbundesanwalt Harald Range scheinbar „bestätigt“ wurde. Eigentlich sollte es dort um die Zwickauer Rechtsextremisten gehen, aber zwischendurch war auch Zeit für eine Frage nach der BILD-Story. Range antwortete darauf: „Wir haben ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und führen operative Maßnahmen durch.“

Danach war im Mainstream kein Halten mehr. Oft gleichfalls garniert mit dem Wort „offenbar“ machten die geplanten iranischen Anschläge die Runde. Erst gegen Abend trat SPIEGEL ONLINE auf die Bremse: „Bundesanwalt: Keine Indizien für iranische Anschlagspläne“. „'Es gibt keinerlei Indizien dafür, dass irgendwelche Aktionen gegen US-Einrichtungen vorbereitet worden sind', sagte am Donnerstagnachmittag ein Sprecher der Bundesanwaltschaft.“

BILD nahm von dem Dementi keine Notiz. Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur des Blattes, schrieb am Freitag in einem Kommentar unter der Überschrift „Der Iran macht Angst!“: „Die Führung erklärt ausländische Diplomaten zu Freiwild, plant offenbar Sabotage-Anschläge in Deutschland, will die Atombombe.“ - Auch im übrigen Mainstream wurde das Dementi der Bundesanwaltschaft weitgehend ignoriert. Die Ente hatte ihren Zweck bereits erfüllt.

Indessen bleibt eine Reihe von Fragen offen. Zum Beispiel: Auf welche Indizien, Verdachtsgründe oder Erkenntnisse hin wurde gegen den „deutschen Geschäftsmann“ nicht nur ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, sondern sogar eine Hausdurchsuchung veranlasst? Wer hat BILD die Ermittlungsakten zugespielt? Möglicherweise der selbe ausländische Geheimdienst, der vielleicht auch die Ermittlungen in Gang gebracht hatte? Muss künftig jeder, der irgendeinen „Kontakt“ zu iranischen Diplomaten hat, damit rechnen, dass sich die Bundesanwaltschaft mit ihm beschäftigt? Und: Soll etwa genau das mit dieser Ente erreicht werden?

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. Dezember 2011