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Ein neues Kapitel
Iranisch-russische Kooperation im Atomkraftwerk Buschehr. Israel findet friedliche Nutzung der Kernenergie durch Iran „völlig inakzeptabel“.
Im iranischen Atomkraftwerk bei Buschehr hat am Sonnabend planmäßig die Startphase zur Inbetriebnahme begonnen. Die ersten der insgesamt 163 nuklearen Brennelemente wurden in die von einem russischen Unternehmen gebaute Anlage gebracht. Aus diesem Anlass war der Chef der russischen Atomenergiebehörde, Sergei Kirijenko, angereist, der zusammen mit seinem iranischen Kollegen Ali Akbar Salehi den Beginn der Arbeiten beobachtete. Entgegen den Erwartungen fanden im Iran am Sonnabend keine großen Feiern statt. Präsident Mahmud Ahmadinedschad war nicht zum Auftakt nach Buschehr gekommen.
Der weitere Zeitplan sieht so aus: Am 5. September soll die Installation der Brennelemente abgeschlossen sein. Am 16. oder 22. September – es gibt unterschiedliche Angaben – soll der Reaktor aktiviert werden. Danach wird es noch mindestens zwei bis drei Monate dauern, bis das Kraftwerk Strom erzeugen kann. Es wird zunächst nur die halbe Menge der Zielkapazität, die bei 1000 Megawatt liegt, erreichen. Russische Experten schätzen ein, dass das AKW vor Jahresende ans Netz gehen kann.
Buschehr wird als iranisch-russisches Joint Venture betrieben und in den ersten zwei bis drei Jahren unter russischer Kontrolle bleiben, teilte Kirijenko am Sonnabend mit. In dieser Zeit wird die Anlage schrittweise an iranisches Personal übergeben. Alle verbrauchten Brennelemente, aus denen theoretisch waffenfähiges Plutonium gewonnen werden könnte, werden an Russland zurückgeliefert. Das Kraftwerk, insbesondere das gesamte nukleare Material, steht entsprechend den Vorschriften des Atomwaffensperrvertrags unter Aufsicht der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA).
Iranische Politiker und Diplomaten sprachen anlässlich des Beginn der Startphase in Buschehr von einem „neuen Kapitel“ in den Beziehungen zu Russland. Der Vorsitzende des Außen- und Sicherheitspolitischen Ausschusses des Parlaments, Alaeddin Borudscherdi, äußerte die Erwartung , dass Russland nun auch den auf Eis gelegten Vertrag über die Lieferung des Luftabwehrsystem S-300 erfüllen möge.
Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte am Sonnabend, das Kraftwerk diene ausschließlich zivilen Zwecken und stelle aus Sicht der USA kein Risiko für eine Weiterverbreitung von Atomwaffen dar. Er verwies zur Begründung auf die Überwachung durch die IAEA und auf die vereinbarte Rückgabe der Brennelemente an Russland.
Der israelische Minister für Nationale Infrastruktur, Uzi Landau, hatte am Donnerstag mitgeteilt, Israel sei über die Inbetriebnahme von Buschehr nicht sonderlich beunruhigt. Besorgt sei man hingegen über andere Anlagen, in denen Uran angereichert wird. Deutlich schärfer im Ton erklärte das israelische Außenministerium am späten Sonnabend, es sei „völlig inakzeptabel“, dass Iran „die Früchte der Anwendung der Kernenergie genießen darf“. Die „internationale Gemeinschaft“ müsse ihren Druck auf Iran noch mehr steigern.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 23. August 2010