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Ebenso blöd wie effektiv: Das Märchen von der Geheimanlage

Das amerikanisch-europäische Alarmgeschrei über eine „geheime“ iranische Atomanlage zeigt Wirkung. Das Treffen, das am Donnerstag zwischen Vertretern des Iran und der Sechsergruppe – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA – stattfinden soll, steht dadurch von vornherein im Schatten einer aggressiven Medienkampagne und ultimativer Forderungen nach erweiterten Kontrollmaßnahmen.

Zwei Nachrichtenagenturen, Reuters und AP, hatten am Freitagmorgen gemeldet, Iran habe in einem Brief an die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) „zugegeben“, über eine zweite Anlage zur Anreicherung von Uran zu verfügen, deren „Existenz“ die Regierung in Teheran bis dahin „verschwiegen“ habe.

Tatsächlich hatte der iranische Vertreter bei der IAEA in Wien am Montag voriger Woche einen Brief übergeben, in dem der Behörde die geplante Errichtung einer kleinen „Pilotanlage“ zur Urananreicherung mitgeteilt wurde. Sie soll einmal mit 3000 Zentrifugen betrieben werden und schwach angereichertes, für Atomwaffen völlig ungeeignetes Uran für AKW-Brennstäbe produzieren. Zum Vergleich: In der iranischen Anlage in Natanz laufen derzeit ungefähr 6000 bis 8000 Zentrifugen. Später einmal sollen es 50.000 sein. Möglicherweise ist der eigentliche Zweck der neuen Anlage, effektivere Zentrifugen zu erproben als die jetzt verwendeten störanfälligen Uralt-Modelle pakistanischer Bauart.

Von einer „Verheimlichung“ kann in Wirklichkeit keine Rede sein. Die Aufgabe der IAEA besteht lediglich darin, den Umgang mit radioaktiven Stoffen zu überwachen. Projekte oder auch Bauten sind nicht meldepflichtig. Erst sechs Monate vor der beabsichtigten Einführung von Nuklearmaterial in eine Anlage müssen die Unterzeichner der Atomwaffensperrvertrags (NPT) die Wiener Kontrollbehörde darüber informieren. Nach Teheraner Angaben ist mit der Fertigstellung der neuen Anlage erst in 18 bis 24 Monaten zu rechnen. Iran hat sich also mehr als korrekt verhalten.

Nach den ausführlichen Berichten der mit exklusiven Insiderinformationen gefütterten New York Times wussten die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Israels schon seit mehreren Jahren, dass in der Nähe der Stadt Qom eine neue Nuklearanlage gebaut wird. Obama sei darüber schon vor seinem Amtsantritt informiert worden. Seit dem Frühjahr 2009 seien sich die Geheimdienste sicher gewesen, dass dort Uran angereichert werden soll. Von da an habe der US-Präsident regelmäßig mit seinen engsten Beratern diskutiert, wann und wie man diese Meldung am wirkungsvollsten an die Öffentlichkeit bringen könnte. Inzwischen sei jedoch die iranische Regierung darauf aufmerksam geworden, dass man ihr „auf der Spur“ war und habe sich deshalb entschlossen, den Bau der Anlage der IAEA zu melden. Das kann allerdings auch eine von der US-Regierung lancierte Legende sein.

Mit der iranischen Mitteilung an die IAEA ist selbstverständlich verbunden, dass die künftige Anlage den Kontrollen der Behörde unterstellt wird. Es ist daher nur Theaterdonner, wenn USA, Großbritannien und Frankreich jetzt vom Iran fordern, Inspektionen des Baus durch die IAEA zuzulassen. Wie die New York Times am Sonntag meldete, will die US-Regierung in das Gespräch am 1. Oktober aber darüber hinaus mit der Forderung gehen, Iran müsse innerhalb von drei Monaten eine unüberschaubar lange Liste von Industrie-Anlagen durch die IAEA kontrollieren lassen. Das gibt der NPT nicht her und das wird Iran nicht erlauben. Das Scheitern des Treffens ist gesichert.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 28. September 2009