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Die Lügen der Nation

In George W. Bush’ vermutlich letzter "Rede zur Lage der Nation" stand die Außenpolitik im Hintergrund. Was der in einem Jahr aus dem Amt scheidende Präsident zu diesem Thema zu sagen hatte, war selbst für eine Wahlkampfrede außerordentlich wirklichkeitsfern.

So erwähnte Bush Pakistan nur zwei Mal ganz kurz in Nebensätzen, ohne darauf einzugehen, dass dieser "Schlüsselverbündete" den USA die allergrößten Sorgen macht. Ein 2007 veröffentlichter Bericht der US-amerikanischen Geheimdienste behauptet, dass al-Kaida ihre Strukturen wieder aufgebaut und in Nordwestpakistan "sicheren Unterschlupf" gefunden habe. Darüber sprach der Präsident ebenso wenig wie über die Anstrengungen seiner Regierung, von Pakistan die Zustimmung für Kampfeinsätze der US-Streitkräfte zu erhalten. Auch die Ermordung der pakistanischen Oppositionsführerin Benazir Bhutto, die Washingtons wichtigste Hoffnungsträgerin gewesen war, erwähnte Bush mit keinem Wort.

Die Situation in Afghanistan beschrieb der Präsident mit folgenden Worten: "Amerika, unsere 25 NATO-Verbündeten und 15 Partnerstaaten helfen dem afghanischen Volk, seine Freiheit zu verteidigen und sein Land wieder aufzubauen. Dank des Muts dieser Soldaten und Zivilisten ist eine Nation, die einst eine sichere Zuflucht für al-Kaida war, jetzt eine junge Demokratie, wo Jungen und Mädchen zur Schule gehen, wo neue Straßen und Krankenhäuser gebaut werden, und wo die Menschen mit neuer Hoffnung in die Zukunft sehen." - Die wirklichen Probleme der Landes und den zunehmenden Widerstand gegen die NATO-Truppen sprach Bush nicht an.

Ebenso stellte der Präsident die Entwicklung im Libanon als Erfolgsgeschichte US-amerikanischer Politik dar. Die fast bürgerkriegsartige Lage und Israels Angriffskrieg im Sommer 2006 verschwieg er. Die israelisch-palästinensischen Verhandlungen, einst eine Zugnummer seiner Propaganda, erwähnte Bush jetzt nur beiläufig in einem Satz, ohne über die von Israel verursachte humanitäre Katastrophe im Gaza-Gebiet zu sprechen.

Die Hälfte der Ausführungen des Präsidenten zur Außenpolitik bestanden in Selbstlob für die angeblich überaus erfolgreiche Entwicklung im Irak, die im vergangenen Jahr durch die Verstärkung der US-Truppen um 30.000 Mann und eine "neue Strategie" erreicht worden sei.

Nicht fehlen durften selbstverständlich neue Drohungen gegen Iran. "Wir stehen auch gegen die Kräfte des Extremismus, die vom Regime in Teheran verkörpert werden. (...) Iran finanziert militante Gruppen im Irak und bildet sie aus, es unterstützt die Hisbollah-Terroristen im Libanon und die Bestrebungen von Hamas, den Frieden im Heiligen Land zu untergraben. Es entwickelt Raketen mit zunehmender Reichweite und setzt die Entwicklung seiner Fähigkeiten zur Uran-Anreicherung fort, die zum Bau von Atomwaffen genutzt werden könnten." "Amerika wird denjenigen entgegentreten, die unsere Truppen bedrohen, wir werden unseren Verbündeten beistehen, und wir werden unsere lebenswichtigen Interessen im Persischen Golf verteidigen."

Da wird es die iranische Bevölkerung kaum beruhigen, dass der US-Präsident ihr zurief: "Wir haben keinen Streit mit euch. Wir respektieren eure Traditionen und eure Geschichte. Wir ersehnen den Tag, wo ihr eure Freiheit habt."

"We have no quarrel with you", wir haben keinen Streit mit euch - das kommt in der verlogenen Diktion US-amerikanischer Präsidenten schon fast einer Kriegserklärung gleich. "Our message to the people of Iraq is clear: We have no quarrel with you”, versprach George Bush am 28. Januar 2003 in seiner Rede zur Lage der Nation, wenige Wochen, bevor er den Angriffsbefehl gab. Sein Vater hatte es als Präsident vor dem ersten Irak-Krieg am 17. September 1990 schon fast ebenso formuliert: "We have no quarrel with the people of Iraq.”

Knut Mellenthin

Junge Welt, 30. Januar 2009