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Die Chance nutzen!

Ein Drittel des Abgeordnetenhauses und 29 frühere Diplomaten, Sicherheitsexperten und Militärs rufen Obama zu diplomatischen Anstrengungen gegenüber dem Iran auf.

Eine Woche vor dem Amtsantritt des nächsten iranischen Präsidenten Hassan Rouhani werden in beiden Häusern des amerikanischen Kongresses neue Sanktionsresolutionen vorbereitet. Die auf eine militärische „Lösung“ des Atomstreits drängenden Kräfte fürchten, dass es nach dem Regierungswechsel in Teheran doch noch zu wirklichen Verhandlungen mit Erfolgsaussichten kommen könnte, und wollen so viele zusätzliche Hindernisse wie möglich aufbauen. Aber zum allerersten Mal in der Geschichte dieses Konflikts hat sich jetzt im Kongress eine Initiative gebildet, die den Präsidenten nicht etwa – wie es bisher ausschließlich üblich war – zur Verschärfung der Konfrontation drängen will, sondern die im Gegenteil zu ernsthaften diplomatischen Anstrengungen aufruft. Das deutet, zusammen mit der Kritik von fast der Hälfte aller Mitglieder des Abgeordnetenhauses an der Überwachung der Bevölkerung durch den Geheimdienst NSA, eine gewisse Wende in der Rolle des Kongresses an.

131 Abgeordnete haben einen offenen Brief an Barack Obama zur Politik gegenüber dem Iran unterschrieben, der am 19. Juli veröffentlicht wurde. Das sind fast ein Drittel der 435 Mitglieder des Hauses. Unter den Unterzeichnern sind 114 Demokraten – und damit die Mehrheit der Fraktion, die 201 Abgeordnete zählt, wenn auch niemand von den führenden Politikern – sowie 17 Republikaner. Bezeichnend ist freilich, dass von den 46 Mitgliedern des Außenpolitischen Ausschusses nur fünf den Brief unterstützen. Das äußerst wichtige Gremium ist fest in den Händen der Pro-Israel-Lobby und anderer Scharfmacher. Mit nur einer einzigen Ausnahme hatten die Mitglieder des Ausschusses Anfang Juli einen Appell an Obama veröffentlicht, den Druck auf Iran durch Verschärfung der Sanktionen zu steigern. Daraus ergibt sich, dass vier Mitglieder des Ausschusses das Unterzeichnen beider Briefe vereinbar fanden.

Der Inhalt des am vorigen Freitag veröffentlichten Schreibens ist denn auch sehr viel weniger sensationell als die Tatsache, dass es zum ersten Mal eine so breite Basis für eine derartige Initiative gab. In dem Brief wird daran erinnert, dass Rouhani sich im Wahlkampf für eine „Politik der Versöhnung und des Friedens“ ausgesprochen, den „Extremismus“ des Amtsinhabers Mahmud Ahmadinedschad kritisiert und ein„konstruktives Zusammenwirken mit der übrigen Welt“ angekündigt habe. Es wäre daher ein Fehler, heißt es dort weiter, „nicht zu testen, ob Rouhanis Wahl eine reale Chance bietet, zu einem verifizierbaren, durchsetzbaren Abkommen über Irans Atomprogramm zu kommen, mit dem sichergestellt wird, dass das Land nicht an Atomwaffen gelangt“. „Wir müssen auch aufpassen, dass wir diese Chance nicht durch Handlungen verderben, die den neu gewählten Präsidenten delegitimieren und seine Position gegenüber den Hardlinern im Regime schwächen“. Das kann man auf die Drohungen mit zusätzlichen Sanktionen beziehen, doch kommen diese im Text an keiner Stelle vor.

Bereits am 15. Juli hatten 29 bekannte frühere Diplomaten, Militärs und Sicherheitsexperten einen etwas deutlicher gehaltenen Brief an Obama veröffentlicht. Die US-Regierung wird darin aufgerufen, ihre diplomatischen Bemühungen „zu verdoppeln“, „ein neues Vorschlagspaket“ zu präsentieren und „provokative Handlungen“ zu unterlassen. Zu den Unterzeichnern gehören mehrere ehemalige Spitzenfunktionäre des Pentagon und des Außenministeriums, ein ehemaliger Oberbefehlshaber des Kommandobereichs Mitte der US-Streitkräfte und der frühere britische Vertreter bei der Internationalen Atomenergiebehörde, Peter Jenkins.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 27. Juli 2013