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Besuchszeit in Teheran
Der Regierungswechsel im Iran hat eine Kette von Besuchen und Kontakten ausgelöst. Nur Deutschland hält sich zurück.
Seit Montag hält sich eine große Delegation französischer Geschäftsleute im Iran auf. Nach Presseberichten gehören ihr Vertreter von rund hundert Unternehmen an. Darunter unter anderem von der Autofirma Renault, vom Ölkonzern Total und von der Telekommunikationsgruppe Orange. Konkrete Abschlüsse werden in diesem Zusammenhang kaum erwartet, schon gar nicht langfristige Verträge. Aber die Geschäftswelt ist offensichtlich darauf bedacht, ihre Chancen wahrzunehmen, sobald die von den USA mit Strafandrohungen und finanzieller Nötigung erzwungenen Sanktionen wirklich fallen sollten.
Die Franzosen sind dabei durchaus nicht die ersten: Seit dem Regierungswechsel in Teheran Anfang August 2013 und verstärkt seit dem Genfer Abkommen vom 24. November 2013 sind Unternehmer und Politiker anderer Staaten bestrebt, sich gute Ausgangspositionen für einen möglichen künftigen Wettbewerb um den Absatzmarkt des Iran – fast 80 Millionen Einwohner, kaum weniger als Deutschland – und seine riesigen Rohstoffvorkommen zu sichern. Iran besitzt, wenn man Erdöl und Erdgas zusammenrechnet, möglicherweise die größten Reserven der ganzen Welt. Aber auch bei mehreren Erzen liegt es in der internationalen Spitzengruppe der ersten Zehn.
Die vielleicht wichtigste unmittelbare Folge des Genfer Abkommens ist die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Großbritannien. Die Regierung in London hatte sie im November 2011 abgebrochen, nachdem Demonstranten Teile der britischen Botschaft in Teheran gestürmt hatten. Zwei Jahre später verständigten sich beide Staaten auf den Austausch diplomatischer Geschäftsträger, die vorerst noch in ihren Heimatländern residieren, aber schon mehrfach Besuche austauschten. Die Wiedereröffnung der Botschaften ist zwar beabsichtigt, aber bisher noch nicht konkret geplant. Anfang Januar besuchte der frühere britische Außenminister Jack Straw Teheran. Begleitet wurde er von einer Delegation aus Politikern aller im Unterhaus vertretenen Parteien. Straw und Präsident Hassan Rouhani kennen sich schon aus der Zeit, als dieser 2003-2005 iranischer Chefunterhändler im Atomstreit war.
Noch vor Straw war im Dezember 2013 die italienische Außenministerin Emma Bonino in den Iran geflogen – als erste hochrangige EU-Politikerin seit zehn Jahren. In ihrer Begleitung befanden
sich eine große Abordnung der römischen Regierung und zahlreiche Wirtschaftsvertreter. Italien ist zur Zeit größter europäischer Handelspartner des Iran – vor Deutschland und Frankreich. Kurz vorausgegangen war Boninos Besuch die Teilnahme des früheren italienischen Ministerpräsidenten Massimo D'Alema, eines Linkspolitikers, an einer internationalen Konferenz in Teheran. Für die nächste Zeit haben sich Politiker aus vielen anderen europäischen Ländern im Iran angemeldet. Nur Deutschland verharrt, im Gegensatz zu den vollmundigen Bekundungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende, in der „Kultur der Zurückhaltung“ und der „Kommentare vom Spielfeldrand“.
In US-amerikanischen Kreisen, die die totale Blockade und Isolierung Irans anstreben, zeigt sich angesichts des vorherrschenden europäischen Trends Unruhe. Die demokratische Senatorin Jeanne Shaheen verschickte und veröffentlichte am 30. Januar einen undiplomatisch-fordernden Brief an die EU-Außenpolitikchefin Catherine Ashton, die als Verhandlungsführerin der internationalen Sechsergruppe in den Atomverhandlungen mit dem Iran agiert. Besuche von Handelsdelegationen im Iran seien gefälligst zu unterlassen, hieß es dort, denn es sei „von entscheidender Bedeutung, dass die USA und Europa auch weiterhin eine starke, einige Front darstellen“. Die Senatorin hatte schon in früheren Jahren regelmäßig protestiert, sobald europäische Parlamentarier-Delegationen in den Iran reisten.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 5. Februar 2014