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Bündnis für Arbeit - Bündnis für Kohl

Da freuen sich die Arbeitslosen!

Beten für den Frieden, Rock gegen Faschismus, Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit, Fasten gegen Hunger, Light-Produkte gegen Fettbauch. Warum nicht auch mal ein Bündnis für Arbeit? Viel Schaden kann es jedenfalls nicht anrichten, und vielleicht nützt es ja doch irgendetwas, scheinen sich viele zu sagen. In einem Land, wo rund die Hälfte der Bevölkerung ihr Horoskop in der Morgenzeitung liest, obwohl selbstverständlich auch daran niemand wirklich glaubt, kann dieser Optimismus nicht verwundern.

"Zurückhaltung" in den kommenden Tarifrunden hat die IG Metall angeboten, falls sich die Kapitalisten verpflichten, in den nächsten drei Jahren 300.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. "Noch nie hatte eine gewerkschaftliche Initiative ein so positives Echo", applaudierte die FAZ (17.1.96). Denn laut Allensbach-Umfrage halten 72% der Bevölkerung (und sogar 83% der DGB-Mitglieder) die Bündnis-Idee des IG-Metall-Chefs für ein "gutes Angebot". Allerdings meinen nur 32% der Bevölkerung (und 42% der Gewerkschafter), daß es sich um einen realistischen Vorschlag handelt. Die Mehrheit der Befragten stimmte lieber der vorformulierten Gegenposition zu: "Kein Arbeitgeber kann sich verpflichten, in der nächsten Zeit neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das hängt doch allein von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Auftragslage der einzelnen Unternehmen ab." - Das ist zwar auch nicht hundertprozentig richtig, aber kommt der Wirklichkeit sehr viel näher als das übermäßig naive Tauschangebot der IG Metall.

Was also ist an der Idee trotzdem gut? Daß sie endlich explizit die Unternehmerpropaganda akzeptiert, wonach die "überhöhten" Tarifabschlüsse der letzten Jahre "Jobkiller" waren und zwischen niedrigeren Löhnen und mehr Arbeitsplätzen doch irgendein geheimnisvoller Zusammenhang besteht? Daß sie nicht bloß auf anhaltende Reallohn-Senkung vorbereitet, sondern generell die Botschaft transportiert, daß die Lohnabhängigen sich künftig billiger verkaufen und sich mehr gefallen lassen müssen, wenn sie nicht auf der Reservebank oder, noch wahrscheinlicher, im sozialen Abseits landen wollen?

Daß man dafür Arbeitzplatz-Garantien eintauschen könnte, wird angesichts von weiter wachsender Arbeitslosigkeit kaum noch jemand glauben. Nach einer Untersuchung des ZDF nehmen 93% der Befragten an, daß sich an der hohen Arbeitslosigkeit in den nächsten Jahren nichts ändern wird (Bild, 20.1.96). Das entspricht nach allen Prognosen und auch nach den Äußerungen der Kapitalvertreter der Realität. Beim Vorschlag der IG Metall könnte es sich also nur um einseitig erbrachte Vorleistungen handeln, von denen man vielleicht hofft, daß sie langfristig die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kapitalisten erhöhen und irgendwann auf Umwegen auch den Lohnabhängigen und Arbeitslosen wieder zugute kommen.

Sachliche Gründe für eine solche Hoffnung gibt es eigentlich nicht. Daß Arbeitskraft billig und willig zu haben ist, stellt allein für die meisten Wirtschaftszweige noch keinen Grund dar, neue Arbeitsplätze einzurichten, sofern dafür kein wirtschaftlich begründeter Bedarf vorhanden ist. Beispielsweise: Wenn es gelänge, im Handel die Lohnkosten um 20% zu senken, würden die Kapitalisten den zusätzlichen Gewinn gern annehmen, aber nicht eine einzige Verkäuferin oder Kassiererin mehr beschäftigen - sofern ihnen nicht steigender Publikumsandrang und Umsatz die Einstellung neuer Arbeitskräfte notwendig erscheinen lassen würden. Woher aber soll die Umsatzsteigerung kommen, wenn man durch Absenken der Reallöhne und Abbau von Sozialleistungen die Massenkaufkraft weiter verkleinert?

Können "maßvolle" Tarifabschlüsse und Senkung der Lohnnebenkosten wenigstens dazu führen, daß die vorhandenen Arbeitsplätze "sicherer" werden? Auch diese Annahme ist mit Skepsis zu betrachten. Die Lohnkosten in vielen potentiellen Produktionsstandorten im Ausland sind so niedrig, daß ein Wettlauf von vornherein aussichtslos wäre. Falls es beispielsweise einem Kapitalisten zweckmäßig erscheint, Teile seiner Fertigung in die Tschechische Republik zu verlagern, würden auch drei deutsche Nulltarifrunden hintereinander an seiner Kalkulation nicht viel ändern können. Andererseits bietet Deutschland auch bei Weiterentwicklung des heutigen Lohnniveaus offensichtlich interessante Standortvorteile. Zu diesen Vorteilen zählt die Nähe zu einem Binnenmarkt mit hoher Aufnahmefähigkeit. Die von der Bundesregierung massiv vorangetriebene Senkung der einheimischen Massenkaufkraft stärkt also in einem ganz entscheidenden Punkt die Standortqualitäten Deutschlands nicht, sondern schwächt sie, sofern man überhaupt in diesen Kategorien argumentieren will.

Wunder gibt es immer wieder

Mit Begeisterung hat sich sofort die Bundesregierung der Parole "Bündnis für Arbeit" angenommen. Ihr geht es darum, einen Sack voll längst vorbereiteter unsozialer und kapitalfreundlicher Maßnahmen unter dem populär klingenden neuen Etikett zu realisieren. Abgesehen davon ist angesichts einer Rekordarbeitslosigkeit mit weiter steigender Tendenz der ständige Nachweis zweckmäßig, daß die Regierung sich mit dem Problem beschäftigt und auch schon Wege aus der Krise beschreitet. Die Gewerkschaften spielen wieder brav den Trottelpart mit, wie schon in der Konzertierten Aktion der sechziger Jahre.

Aus dem ersten gemütlichen Beisammensein am 23. Januar kamen Regierung, Kapitalvertreter und Gewerkschaften mit einer gemeinsamen "Handlungsplattform" - und mit der plakativen Ankündigung, auf diesem Weg die Arbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahr 2000 auf die Hälfte zu verringern. Soviel hemmungslose Demagogie macht fassungslos. Aus den Umfrageergebnissen läßt sich schließen, daß diesen Unsinn offenbar kaum noch jemand in der Bevölkerung glaubt - siehe Umfrageergebnisse. Die Überzeugung, daß man nach Strich und Faden belogen und beschissen wird von Leuten, die sich selbst die Taschen füllen und für den Rest ihres Lebens ausgesorgt haben, ist heute allgemein verbreitet. Das Erstaunliche ist, daß es sich damit für die Herrschenden offensichtlich problemlos weitermachen läßt.

Die Leitlinie der "Handlungsplattform" besteht darin, daß man das Leben für die Kapitalisten leichter und für die Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger schwerer machen müsse, um den Standort Deutschland zu sichern. Dazu gehört die Senkung der Lohnnebenkosten vor allem durch Verminderung der Quote der Sozialabgaben. Das ist gleichbedeutend, wie gewiß auch die Gewerkschaften begriffen haben, mit einer Senkung der Sozialausgaben. Umschrieben ist das mit der nebulösen Aussage, die Sozialleistungen sollten künftig auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden. Das impliziert, daß die meisten Bezieher von Sozialleistungen eigentlich nicht bedürftig seien, und so wird mit diesem Thema von der Bundesregierung ja auch regelmäßig umgegangen.

Bei einem Vergleich mit dem 50-Punkte-Aktionsprogramm der Bundesregierung, das am 30. Januar veröffentlicht wurde, fällt auf, daß in der von den Gewerkschaften mitgetragenen "Handlungsplattform" absolut nichts steht, was nicht auch Teil des Regierungsprogramms ist. Dieses ist nur sehr viel weiter gehend in der Konkretisierung der beabsichtigten unsozialen Maßnahmen. Immerhin haben die Gewerkschaften bei der Kanzlerrunde aber schon der Absicht zugestimmt, die Arbeitslosenhilfe bei längerem Bezug jährlich um drei Prozent zu senken. Eigentlich hatte die Bundesregierung ja eine Senkung um fünf Prozent beabsichtigt, argumentiert man, und da haben die Gewerkschaften doch einen ganz schönen Kompromiß erreicht. Die Langzeitarbeitslosen werden es ihnen zu danken wissen. Nach diesem Muster wird man künftig wohl noch manche Schweinerei gemeinsam beschließen.

Weniger Überstunden = Mehr Arbeitsplätze?

Ein Kernstück des "Bündnis für Arbeit" aus Gewerkschaftssicht scheint der Abbau von Überstunden werden zu sollen, der als wirksames Mittel zur Schaffung neuer Arbeitsplätze empfohlen wird. Der Phantasie sind dabei nach oben hin kaum Grenzen gesetzt: Zahlen bis zu 800.000 möglichen Neueinstellungen werden von DGB-Sprechern genannt. Das soll angeblich erreicht werden können, indem Überstunden generell nicht mehr bezahlt werden, sondern durch Freizeit an anderen Tagen ausgeglichen werden müssen.

Rechenbeispiel: Allein in der Metallindustrie wurden 1995 rund 260 Millionen Überstunden geleistet. Das entspricht, umgerechnet auf normale Arbeitszeit, 150.000 zusätzlichen Beschäftigten. Die Rechnung enthält allerdings mehrere schwere Denkfehler: Mit Sicherheit würden die Unternehmer nicht einmal annähernd in dieser Größenordnung Neueinstellungen vornehmen, sondern sie würden (voraussichtlich mit Erfolg) versuchen, ihre Lohnabhängigen stärker an den ohnehin zumeist ungleichmäßigen Arbeitsanfall anzupassen: Überstunden schieben, wenn viel zu tun ist und/oder ein relativ hoher Kranken- oder Urlauberstand vorliegt; dafür in flauen Zeiten die Leute mal eher nach Hause schicken. Und richtig, die "flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit" gehört bereits zu den gemeinsamen Zielen, die die Gewerkschaften mitunterschrieben haben.

Nun sagt sich leicht - von Seiten linker Gewerkschafter, die das dennoch für eine gute Idee halten -, man müsse selbstverständlich verhindern, daß eine solche totale Anpassung der Arbeitszeit an die Unternehmerinteressen erfolgt. Aber in der Realität werden es die "Arbeitnehmer" künftig noch sehr viel schwerer als bisher haben, sich kollektiv und individuell dem Druck ihrer "Arbeitgeber" zu widersetzen.

Der Spruch linker Soziologen und Gewerkschafter von der zunehmenden "Zeitsouveränität", die angeblich den Lohnabhängigen durch die flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit beschert wird, kann nur aus abgrundtiefer Weltfremdheit oder aus Zynismus stammen: Es werden künftig in vielen Betrieben und Bereichen die Verhältnisse zunehmen, wo die einzelnen Beschäftigten am Montag noch nicht genau wissen, ob sie am nächsten Wochenende arbeiten müssen, wo sie am Mittwoch schon mittags nach Haus geschickt werden, weil "nicht so viel los ist", und wo ihnen am Donnerstag eröffnet wird, daß es mit dem lange schon fest verplanten freien Tag am Freitag nun leider, leider doch nichts wird, weil drei Kollegen ausgefallen sind. Da wehre sich, wer noch kann! Zumal in den kommenden Jahren der Anteil der Beschäftigten erheblich zunehmen wird, die nur mit befristeten Verträgen beschäftigt sind, die also unter besonders starkem Druck stehen, ihren Arbeitsplatz nicht aufs Spiel zu setzen.

Aus dem gleichen Grund könnte die Forderung des DGB, Überstunden generell nicht mehr zu bezahlen, dazu führen, daß am Ende viele Überstunden nicht einmal mehr "abgefeiert" werden können, sondern ersatzlos verfallen. Wer beispielsweise gerade bangt, weil die Erneuerung seines Jahresvertrags seit mehreren Tagen beim Chef auf dem Schreibtisch liegt, wird wohl nicht allzu hartnäckig darauf bestehen, daß ihm als Ausgleich für angehäufte Überstunden bereits vier Wochen Freizeit zustehen, falls ihm gesagt wird, daß dies im Firmeninteresse "zur Zeit" nicht möglich sei.

Der Vorschlag der Gewerkschaften ignoriert außerdem, daß die bezahlten Überstunden für einen großen Teil der Beschäftigten ein kaum entbehrlicher, jedenfalls aber ein gewohnter und eingeplanter Einkommensbestandteil sind. Sie zu beseitigen, würde vermutlich viele veranlassen, kleine Nebenjobs anzunehmen oder beispielsweise die Wohnungsrenovierung selbst auszuführen, für die sie ansonsten einem arbeitslosen Bekannten zu einer willkommenen "illegalen" Nebeneinnahme verholfen hätten. Die Idee würde also mit hoher Wahrscheinlichkeit den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten, während ganz ungewiß ist, ob sie auf der anderen Seite auch zu einer gewissen Entlastung (Neueinstellungen) führen würde.

Zwangsarbeit für Taschengeld

Das Beste am "Bündnis für Arbeit" sei, daß jetzt überall über das Thema gesprochen wird, kommentiert die PDS, während sie die Erfolgsaussichten sehr niedrig einschätzt. Es ist bedauerlich, daß die einzige Partei, die hierzulande die Rolle einer linken Opposition übernehmen könnte, sich - vermutlich aus Anpassungssucht gegenüber den Gewerkschaften und aus blanker Angst, nicht konstruktiv genug zu erscheinen - in solche lächerlichen Platitüden flüchtet. Selbstverständlich nutzt es außer Kohl & Co. niemandem, daß "darüber gesprochen" wird. Und was unter der Parole praktisch abläuft, schadet vielen - manchen etwas weniger, dafür mehreren Millionen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern um so mehr.

Indem sich die Gewerkschaften unter dem von ihnen selbst erfundenen Titel "Bündnis für Arbeit" in die Kooperation mit Bundesregierung und Kapital einbinden lassen, machen sie es unmöglich, noch zu erkennen, welche Teile des Sozialabbaus sie selbst mittragen, welche sie zumindest tolerieren und welche sie ablehnen. Sie tragen ihren Teil zur Selbstdarstellung der Bundesregierung bei, als gehe es beim Sozialabbau um die Interessen der Arbeitslosen und als würden dabei im Prinzip alle gesellschaftlichen Kräfte von gleichen Sorgen getrieben und von gleichen Zielen geleitet. Auf dieser Grundlage kann man höchstens noch über die Zweckmäßigkeit einzelner Maßnahmen geteilter Meinung sein, aber keinen Abwehrkampf mehr organisieren.

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren den Druck auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, ihre Arbeitskraft auch unter ungünstigsten Bedingungen zu verkaufen, stark erhöht. Extrem ist, jedenfalls rechtlich, die Situation der Sozialhilfeempfänger: Sie können auch zu sogenannten "gemeinnützigen" Arbeiten abkommandiert werden (beispielsweise Müll wegräumen), für die es (zusätzlich zur Sozialhilfe) nur ein willkürlich festgesetztes Taschengeld von etwa zwei Mark pro Stunde gibt. Ein Gericht hat gerade eben Recht gesprochen, daß solche Zwangsarbeiter keinen Anspruch auf tarifliche Bezahlung haben. Bei Weigerung, die befohlenen Arbeiten auszuführen, soll die Sozialhilfe, von der allein ohnehin niemand leben kann, noch weiter gekürzt werden.

Allerdings wird von der Möglichkeit solcher Zwangsarbeit bisher nur in relativ geringem Ausmaß Gebrauch gemacht. Die Gründe sind unterschiedlich: Viele kommunale Verantwortliche finden aus einem Rest an Humanität und Liberalität den Gedanken an Sklavenkolonnen schlichtweg widerlich. Viele sind auch wohl zu träge und risikoscheu, um sich die damit verbundenen organisatorischen Lasten aufzubürden. Und, so paradox es klingt, etliche Kommunen schrecken wohl auch vor den damit verbundenen Mehrausgaben zurück.

Da für Sozialhilfeempfänger keine Zumutbarkeitsbeschränkungen gelten, wäre es beispielsweise auch möglich, sie zwangsweise als Putzhilfen zu willkürlich festgesetzten Niedrigstlöhnen in Haushalte zu schicken. Auch hiervon wird bisher vermutlich kaum Gebrauch gemacht, aber es ist nicht unwesentlich, daß diese Möglichkeit bereits besteht. (Das 50-Punkte-Programm sieht die Schaffung von 850.000 zusätzlichen "Arbeitsplätzen" in Haushalten durch steuerliche Vergünstigungen für die "Arbeitgeber" vor.)

Im letzten Jahr kam die Bundesregierung auf die Idee, Empfänger von Arbeitslosenhilfe (also Langzeitarbeitslose) sollten zur Annahme von Saisonarbeiten in der Landwirtschaft und im Hotel-/Gastronomiegewerbe verpflichtet werden können. Dort werden üblicherweise kurzzeitig ArbeiterInnen aus Polen und anderen Niedrigstlohnländern beschäftigt, die so niedrig bezahlt werden, daß sie noch unter dem Satz der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe liegen. Da dies immerhin noch unzulässig wäre, soll dann für zwangsverpflichtete Arbeitslose der Hungerlohn aus Staatsmitteln aufgestockt werden. In der Praxis wird diese Idee sicher daran scheitern, daß die Bauern und Gastwirte sehr viel lieber mit "ihren" willigen und geschickten Polen zu tun haben, die zum Teil nun schon seit mehreren Jahren zu ihnen kommen, als mit zwangsverpflichteten Arbeitslosen, deren Qualifikation für die betreffende Arbeit zudem zweifelhaft ist.

Auch für Arbeitslose allgemein werden die Zumutbarkeitsregelungen fortschreitend abgesenkt. Wer gezwungen werden kann, Arbeit weit unterhalb seiner Qualifikation anzunehmen und dafür noch nicht einmal den Tariflohn zu erhalten, kann die Hoffnung begraben, noch einmal den Anschluß ans moderne Berufsleben zu finden. Generell gilt aber, daß auf dem Gebiet der Zwangsarbeit bisher sehr viel weniger praktiziert wird, als theoretisch von der Rechtslage her bereits möglich wäre. Um alles das zu realisieren, was heute schon legal ist, bräuchte man einen großen Apparat mit polizeiartigen Befugnissen, und man würde logischerweise bei Arbeitsdienst und Arbeitslagern landen.

Jagd auf "Sozial-Schmarotzer"

Viele Pläne und Maßnahmen scheinen einstweilen vor allem darauf abzuzielen, in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild zu verfestigen: Arbeitslosigkeit sei vielfach und in hohem Maß selbstverschuldet. Das "soziale Netz" sei so komfortabel abgefedert, daß viele überhaupt nicht motiviert seien, sich einen Arbeitsplatz zu suchen, sondern sich lieber die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Kanzler Kohl spricht feist und dumm davon, er habe gelesen, daß ein Drittel der Sozialhilfeempfänger zumutbare Arbeit abgelehnt hätten. (Bild, 12.1.96). Der Stammtisch rülpst ihm dankbar Beifall. Berichte über "Sozial-Abzocker" und "Sozial-Schmarotzer" tauchen regelmäßig in der zur Massenverhetzung dienenden Presse auf.

Kampf gegen die Arbeitslosigkeit bedeutet so gesehen, daß man den Arbeitsunwilligen von Staats wegen stärkere "Anreize" geben muß, um jeden Preis irgendeine Arbeit anzunehmen. Anreize heißt in diesem Zusammenhang: Weniger Geld, kürzere Bezugsdauer, stärkerer Druck zur Arbeitsannahme, schärfere Maßnahmen gegen "Schwarzarbeit" - ohne die in der Regel Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe überhaupt nicht zum Leben reichen.

Tatsache ist jedoch: In Deutschland gab es im Dezember 1995 nach offizieller (viel zu niedriger) Rechenweise annähernd 3,8 Millionen Arbeitslose, aber nur 256.000 offene Stellen. Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß in Deutschland mindestens 5 Millionen Arbeitsplätze fehlen. Das heißt, man könnte den Druck auf die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger sogar noch stärker erhöhen, ohne daß dadurch die Arbeitslosigkeit insgesamt geringer würde.

Allerdings kann man auf diese Weise den Druck steigern, unter dem diejenigen arbeiten müssen, die noch einen Arbeitsplatz als Lohnabhängige oder Selbständige haben. Erstens ist die permanente Massenarbeitslosigkeit, gerade auch durch die gnadenlos inhumane Diskriminierung der Betroffenen als arbeitsscheu und/oder unqualifiziert, ein mächtiges Drohmittel . Das trifft vor allem die, die sich in diesem System nur noch verschlechtern könnten, weil sie "zu alt" sind. Das beginnt heute etwa bei 45. Über 50 werden in manchen Unternehmen bereits grundsätzlich keine Neueinstellungen mehr vorgenommen. Viele neu aufgebaute Firmen, etwa im Bereich der Computertechnik oder der Neuen Medien, arbeiten ganz bewusst mit einem "jungen Team", in dem niemand älter als allerhöchstens 40 ist.

Zweitens werden mit Hilfe von Maßnahmen, die angeblich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen sollen, breite Breschen in die allgemeinen Arbeitsbedingungen geschlagen. Beispiel: Untertarifliche "Einsteigerlöhne" für Langzeitarbeitslose. Beispiel: Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse. Davon geht, zumindest für bestimmte Bereiche, längerfristig ein erheblicher Anreiz aus, das fest beschäftigte, nach Tarif bezahlte Personal allmählich abzubauen und gegen unterbezahlte, leicht kündbare Arbeitslose auszutauschen.

Beispiel: Schokoladenhersteller Van Houten (Pea) in Norderstedt entläßt ein Drittel seiner 750 Beschäftigten. Verlegt dafür Teile der Produktion ins Kaff Hagenow in Mecklenburg. Da sind die Leute noch scharf darauf, auch zu schlechten Löhnen und Bedingungen arbeiten zu dürfen. Angebot: Wer von den bisherigen Beschäftigten möchte, darf mit nach Hagenow. Allerdings: nur noch zum "Ost-Tarif"! (Hamburger Morgenpost, 26.1.96) Denkbare verschärfte Variante: Arbeitsmöglichkeit in der Tschechischen Republik, selbstverständlich zum landesüblichen Lohn.

Man könnte das Thema auch noch beliebig erweitern: Beispielsweise fordern, daß für ältere Arbeitslose die tariflich oder betrieblich vereinbarten Schutzbestimmungen außer Kraft gesetzt werden dürfen. Daß für weibliche und/oder jugendliche Arbeitslose die einschlägigen Schutzbestimmungen nicht zu gelten brauchen. Alles das wäre eine logische Fortentwicklung des "Bündnis für Arbeit". Allerdings: Zusätzliche Arbeitsplätze würden dabei nicht in nennenswerter Zahl entstehen. Denn das allgemeine Problem ist nicht, daß Arbeit "zu teuer" ist, auch wenn das im Einzelfall eine Rolle spielen mag, sondern daß im Zuge der Modernisierung (und der sich verschärfenden Krise des Binnenmarktes) immer weniger davon benötigt wird.

Nicht 3,8, sondern eher 6 Millionen sind heute in Deutschland arbeitslos. Es werden im Jahr 2000 nicht weniger, sondern mehr sein. Die Politiker haben zu diesem Thema nicht die geringste konstruktive Idee. Daraus ergibt sich das permanente Bedürfnis der Regierenden, Bewegung und Programme vorzutäuschen. Ihr schmutzigster Einfall besteht darin, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger als Schuldige zu stigmatisieren und immer wildere Vorstellungen über den richtigen Umgang mit ihnen in die Welt zu setzen. Die "Asyldebatte" hat gezeigt, wohin diese Methode führt.

Knut Mellenthin

analyse & kritik, 8. Februar 1996