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Vor 75 Jahren: "Säuberung" des Staatsapparats durch Berufsverbote
Bald nach ihrer "Machtergreifung" am 30.Januar 1933 hatte die NSDAP damit begonnen, den Staatsapparat in ihrem Sinn nicht nur strukturell, sondern auch personell umzubauen. Mit dem am 7. April 1933 von Reichskanzler Adolf Hitler unterzeichneten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde eine juristische Grundlage für den überall im Reich schon angeschobenen Prozess nachgereicht.
Das Gesetz richtete sich im Wesentlichen gegen zwei Personengruppen:
- 1. Politische Gegner. "Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden." (§ 4)
- 2. Juden. "Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand zu versetzen." (§ 3, Abs. 1)
Politische Gegner bildeten zunächst die größte Gruppe der Entlassenen oder zwangsweise in den Ruhestand Versetzten. Im Gegensatz zur Behandlung der "nicht arischen" Beamten handelte es sich nur um eine Kann-Bestimmung, die den vorgesetzten Dienststellen einen individuellen Ermessensspielraum ließ. Diese Lücke wurde jedoch zum Teil schon am 11. April 1933 durch die erste Durchführungsverordnung zu dem gerade vier Tage alten Gesetz geschlossen: "Ungeeignet sind alle Beamten, die der kommunistischen Partei oder kommunistischen Hilfs- oder Ersatzorganisationen angehören. Sie sind daher zu entlassen." (Zu § 2)
Am 22. März 1934 wurde das Gesetz dahingehend verändert, dass auf die Entlassung ehemals kommunistischer Beamter verzichtet werden konnte, "die sich schon vor dem 30.Januar 1933 einer Partei oder einem Verbande, die sich hinter die Regierung der nationalen Erhebung gestellt haben, angeschlossen und sich in der nationalen Bewegung hervorragend bewährt haben." (§ 2a, Abs. 1) - Von großer Bedeutung dürfte diese Präzisierung angesichts des sehr geringen Umfangs dieser Personengruppe nicht gewesen sein.
Gleichzeitig wurde in die Gesetzesfassung vom 22.März 1934 als neue verbindliche Bestimmung aufgenommen: "Zu entlassen sind auch Beamte, die sich in Zukunft im marxistischen (kommunistischen oder sozialdemokratische) Sinne betätigen." (§ 2a, Abs. 2)
Das am 7. April 1933 erlassene Gesetz war in großer Eile, unter dem Druck der Ereignisse und im juristischen Formulierungskampf vor allem zwischen großen Teil der NSDAP und ihren konservativen Regierungspartnern zustande gekommen. Schon im Zusammenhang mit den "Boykott"-Aktionen gegen jüdische Geschäftsleute und andere Selbstständige am 1. April waren auch eigenmächtig Maßnahmen gegen jüdische Beamte veranlasst worden. So hatte zum Beispiel der kommissarische preußische Justizminister Hanns Kerrl "bis zu einer endgültigen Regelung der Angelegenheit" angeordnet, allen jüdischen Richtern "nahezulegen", selbst ihre Beurlaubung zu beantragen, oder ihnen anderenfalls Hausverbot zu erteilen. Jüdische Staatsanwälte und Beamte im Strafvollzug seien sofort zu beurlauben. In Berlin wies der Stadtschulrat nach dem 1. April die Bezirksämter an, alle jüdischen Lehrkräfte zu beurlauben. Der Kölner Oberbürgermeister befahl per Rundschreiben, dass Juden im öffentlichen Dienst der Stadt nicht weiter beschäftigt werden dürften.
So eilig war das Gesetz vom 7. April 1933 verabschiedet worden, dass die Juristen versäumt hatten, den Schlüsselbegriff der "nicht arischen Abstammung" zu definieren. Das geschah erst mit der ersten Durchführungsverordnung vom 11. April 1933: "Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Großelternteil nicht arisch ist." (Zu § 3, Abs. 1) - Die "arische Abstammung" musste durch Dokumente nachgewiesen werden. "Ist die arische Abstammung zweifelhaft, so ist ein Gutachten des beim Reichsministerium des Innern bestellten Sachverständigen für Rasseforschung einzuholen."
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sah zunächst eine wesentliche Ausnahme von der "Arier"-Klausel vor: Diese galt nicht für "Beamte, die bereits seit dem 1. August 1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind." (§ 3, Abs. 2)
Diese Ausnahmebestimmung war ein Zugeständnis der NSDAP an ihre konservativen Bündnispartner. Insbesondere soll dabei ein Brief, den Reichspräsident Paul Hindenburg am 4. April an Hitler geschrieben hatte, eine Rolle gespielt haben. Der so zunächst noch geschützte Personenkreis war relativ groß. Mit der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 - zu dieser Zeit war Hindenburg schon tot - entfiel die Beschränkung. Nunmehr waren, soweit nicht ohnehin schon geschehen, alle jüdischen Beamten mit Ablauf des Jahres in den Ruhestand zu schicken.
Das am 3.Juni 1933 verabschiedete Reichsbeamtengesetz schloss die Ehepartner von "Nichtariern" von der Verbeamtung aus. Beamte, die zu diesem Zeitpunkt schon mit "Nichtariern" verheiratet waren, wurden zwar starkem Druck ausgesetzt, sich scheiden zu lassen oder den Dienst zu quittieren, waren aber von dem Gesetz formal nicht berührt. Das änderte sich, als das Reichsinnenministerium im April 1937 die Versetzung aller in "Mischehe" lebenden Beamten in den Ruhestand anordnete.
Der durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 erstmals juristisch verankerte "Arierparagraph" wurde schnell auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen übernommen. Das am selben Tag erlassene Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft enthielt bereits völlig analoge Bestimmungen. Seit dem 22. April 1933 durften "nichtarische" oder kommunistische Mediziner nicht mehr als Kassenärzte tätig sein. Das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 schloss "nichtarische" Personen und deren Ehegatten vom Beruf des Redakteurs aus. Die Deutsche Turnerschaft hatte den "Arierparagraphen" schon am 24. Mai 1933 eingeführt - ohne Ausnahmen zuzulassen.
Knut Mellenthin
Neues Deutschland, 5. April 2008