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Ein großer Schritt zum zweiten Weltkrieg: 1937 startete Japan die zweite Phase seiner Eroberung Chinas

Am 7. Juli 1937 und in den nächsten folgenden Tagen kam es in der Nähe von Peking zu Gefechten zwischen japanischen und chinesischen Truppen. In der modernen chinesischen Geschichte, die reich an sogenannten „Zwischenfällen“ ist, werden diese Vorgänge meist „Zwischenfall vom 7. Juli“ oder – nach einem Hauptschauplätz der Kämpfe – „Zwischenfall an der Lugou-Brücke“ genannt. Weltweit üblich ist die Bezeichnung als „Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke“, weil der Venezianer Marco Polo (1254-1324) das historische Bauwerk in seinen Reisebeschreibungen rühmend erwähnte.

Manche Historiker betrachten den Zwischenfall vom 7. Juli als eigentlichen Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Intention dabei ist nicht zuletzt eine Infragestellung des eurozentristischen Blicks auf die Weltgeschichte. Da die damaligen Ereignisse aber weder unmittelbar noch in den nächsten Jahren zum direkten Kriegseintritt anderer Staaten führten, ist diese Einordnung nicht hundertprozentig plausibel. Unumstritten ist die Ansicht, dass mit dem Lugou-Zwischenfall der Zweite Chinesisch-Japanische Krieg begonnen habe, der erst mit der Kapitulation Tokios am 2. September 1945 endete. Aber für die chinesische Geschichtsschreibung ist der 7. Juli 1937 vor allem der Beginn des „Anti-Japanischen Widerstandskrieges“.

Der erste chinesisch-japanische Krieg hatte genau genommen schon im 19. Jahrhundert, von August 1894 bis April 1895, stattgefunden. In dessen Folge hatte Japan die große Insel Taiwan annektiert und sich mit der Halbinsel Liaodong auf dem chinesischen Festland festgesetzt. China verlor außerdem Korea. Der sogenannte Mukden-Zwischenfall vom 18. September 1931 leitete ein weiteres Vordringen Japans ein: Unter dem Vorwand eines von eigenen Soldaten durchgeführten Sprengstoffanschlags auf eine Bahnstrecke überrannten Truppen des Kaiserreichs in wenigen Monaten jenen Teil Nordostchinas, der damals als Mandschurei bezeichnet wurde, und errichteten dort einen Marionettenstaat.

Die chinesischen Streitkräfte leisteten auf Anweisung von Tschiang Kai-tschek keinen Widerstand. Der „Generalismus“ hatte 1925 nach dem Tod von Parteigründer Sun Jat-sen die Führung der bürgerlich-republikanischen Guomindang übernommen und sie auf einen rechtsnationalistischen, repressiven und antisozialen Kurs gebracht. Tschiangs Motto war, dass China zuerst „im Inneren befriedet“ werden müsse – gemeint war die Zerschlagung kommunistisch geführter Bauernaufstände und Arbeiterkämpfe -, bevor an militärischen Widerstand gegen die japanischen Eroberer zu denken sei. Das wurde nicht nur von der Kommunistischen Partei, sondern auch von einem Großteil des Kleinbürgertums und des Bürgertums als „unpatriotisch“ und „verräterisch“ kritisiert. Aber weil Japan zunächst nicht an weiterer militärischer Expansion, sondern an Konsolidierung des Gewonnenen interessiert war, trat eine mehrjährige Phase relativer Ruhe ein, die freilich immer wieder von kleineren militärischen Zusammenstößen unterbrochen wurde.

Der Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke wurde durch ein ganz banales Ereignis ausgelöst, das wahrscheinlich keine bedeutenden Folgen gehabt hätte, wenn die japanische Militärführung zu diesem Zeitpunkt nicht nach einem Auslöser gesucht hätte, um eine neue Phase des Vordringens in China einzuleiten. Der Hintergrund: Nach der Niederschlagung des sogenannten Boxer-Aufstands – der in China „Bewegung für Gerechtigkeit und Harmonie“ genannt wird - hatten die imperialistischen Mächte dem Land im September 1901 harte Bedingungen aufgezwungen. Dazu gehörte ihr Recht, an bestimmten Bahnlinien Militäreinheiten zu stationieren. Diese durften unter anderem zu jeder Tageszeit Kriegsübungen abhalten, ohne die chinesischen Behörden zu informieren.

Bei einem solchen unangemeldeten Nachtmarsch kam den Japanern am 7. Juli 1937 ein Soldat abhanden, der sich zum „Austreten“ in die Büsche geschlagen und den Anschluss verloren hatte, aber sich einige Stunden später im Stützpunkt zurückmeldete. In der Zwischenzeit hatte der Truppenkommandant jedoch schon den Bürgermeister der nahe gelegenen Stadt Wanping ultimativ aufgefordert, Hausdurchsuchungen nach dem Vermissten zuzulassen. Für die damalige Gesamtsituation ungewöhnlich und überraschend bekamen die Japaner eine Abfuhr. Als sie daraufhin die von einer historischen Mauer umgebene Stadt stürmen wollten, wurden sie von chinesischen Regierungstruppen zurückgeschlagen. Ähnlich erging es ihnen etwas später, als sie die alte Lugou-Brücke und eine daneben gelegene Eisenbahnbrücke angriffen.

In den folgenden Tagen schaffte die japanische Militärführung massive Verstärkungen heran und eröffnete eine Großoffensive, die nach Lage der Dinge wahrscheinlich schon im Voraus geplant worden war. Am 30. Juli besetzten die Japaner Tianjin, am 8. August Peking. Die Gefechte waren hart und langwierig. Beide Seiten, besonders aber die Chinesen, hatten sehr hohe Verluste. Noch blutiger verlief im August der wochenlange Kampf um Schanghai, bevor die Japaner schließlich die Hafenstadt erobert konnten. Im Dezember 1937 nahmen sie schließlich auch die damalige Hauptstadt Nanking ein und ließen ein Massaker an der Bevölkerung mit Morden, Vergewaltigungen und Plünderungen folgen, das in der chinesischen Geschichte unvergesslich ist.

Entscheidend war, trotz der chinesischen Niederlagen und riesigen Menschenverluste, der Übergang zu einem allgemeinen Widerstand gegen den japanischen Vormarsch, den es bis dahin in dieser Form nicht gegeben hatte. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte dabei, dass Guomindang und KP sich am 24. Dezember 1936 auf die Bildung einer „Einheitsfront“ geeinigt hatten. Um das durchzusetzen, hatte ein widerständiger Truppenkommandant seinen Chef Tschiang Kai-tschek kurzerhand festgenommen. Der tiefere Grund der Wende war aber, dass die Wut des chinesischen Volkes auf die japanischen Aggressoren ganz offenbar einen kritischen Punkt überschritten hatte.

Eine wichtige Folge der Ereignisse nach dem 7. Juli war der Abschluss eines „Nichtangriffspaktes“ der Sowjetunion mit China am 21. August 1937. In Wirklichkeit öffnete der Vertrag den Weg zu umfangreichen sowjetischen Waffenlieferungen, die von wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen begleitet wurden.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 1. Juli 2017