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Töten gelernt
Bundeswehr schließt Afghanistan-Stützpunkt Kundus. Medien singen das Lied vom "Heldentod".
Zwei Regierungsmitglieder waren am Wochenende nach Afghanistan geflogen, um der Schließung des Bundeswehrstützpunkts in Kundus offiziellen Glanz zu verleihen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (DCU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) übergaben Vertretern der afghanischen Streitkräfte und der Polizei symbolisch zwei Holzschlüssel. De Maizière erläuterte in seiner Ansprache, wozu der Kriegseinsatz am Hindukusch gut gewesen sein soll: „Kundus, das ist für uns der Ort, an dem die Bundeswehr zum ersten Mal gekämpft hat, lernen musste zu kämpfen. Das war eine Zäsur – nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für die deutsche Gesellschaft.“
Genau davor hatten Gegner der deutschen Beteiligung an der NATO-Intervention von Anfang an gewarnt. Möglich gemacht hatte diesen Bruch mit allen Lehren aus dem von Deutschland entfesselten zweiten Weltkrieg die von Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (Die Grünen) repräsentierte Koalition, die Deutschland zuvor auch schon in den Luftkrieg gegen Jugoslawien geführt hatte.
Mit einem noch relativ harmlos klingenden Mandat des Bundestages nahm das Afghanistan-Abenteuer am 22. Dezember 2001 seinen Anfang: Räumlich begrenzt auf die Hauptstadt Kabul und ihre Umgebung sollten deutsche Soldaten „die afghanischen Staatsorgane bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit unterstützen“. 538 Abgeordnete stimmten dafür, nur 35 dagegen; 30 von diesen gehörten der PDS-Fraktion an. Von reinen Polizeiaufgaben war damals die Rede.
Am 24. Oktober 2003 dehnte der Bundestag das Mandat auf die nordafghanische Region Kundus aus. Bundeskanzler Schröder tröste mit der Behauptung, dass der Einsatz dort in erster Linie zivilen Charakter haben werde. Einige Jahre lang stellten die Medien die deutschen Soldaten vorzugsweise als Brunnen- und Straßenbauer sowie als gutmütige Helfer der Bevölkerung bei ihren Alltagsproblemen dar. Die FDP-Abgeordneten, das sei angesichts des Auftritts von Westerwelle in Kundus nicht vergessen, stimmten damals mehrheitlich mit Nein, weil sie grundsätzliche Bedenken gegen die Mandatsausweitung über Kabul hinaus hatten.
Bekannt wurde Kundus durch das schlimmste von Deutschen verursachte Massaker seit 1945: Ein Bundeswehroberst namens Georg Klein befahl am 4. September 2009 den Abwurf von Bomben auf eine Menschenansammlung und ließ auf diese Weise mehr als 100 Zivilisten töten. Es waren überwiegend Bewohner aus Dörfern der Umgebung, die herbeigeeilt waren, um für ihre Haushalte Benzin aus zwei von Rebellen entführten und dann stehen gelassenen Tankwagen abzuzapfen. Mit Ausnahme der Linken war keine der im Bundestag vertretenen Parteien an einer Untersuchung des Verbrechens interessiert. So blieb auch ungeklärt, bei welchen vorgesetzten militärischen oder politischen Stellen sich Klein möglicherweise vorher Rückendeckung für seinen Befehl geholt hatte.
Aus Anlass der Schließung des Stützpunkts Kundus wiesen Politiker, Militärs und Journalisten wieder einmal darauf hin, dass seit Anfang der 1990er Jahre 102 Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen ums Leben kamen, 54 davon in Afghanistan und allein 20 in Kundus. Vorgetragen werden diese Zahlen mit einem verlogenen „Heldentod“-Pathos, als würden die Toten eine Rechtfertigung für Militäraktionen im Ausland darstellen, und nicht etwa ein zusätzliches Argument gegen derartige Interventionen.
Nirgendwo wird in diesem Zusammenhang erwähnt, dass seit Gründung der Bundeswehr 1955 nach offiziellen Angaben 3.200 deutsche Soldaten „infolge der Ausübung ihres Dienstes getötet“ wurden. Die Opfer der Auslandseinsätze machen also nicht ganz 3,2 Prozent davon aus. Weitaus mehr Soldaten starben bei Manöverunfällen, bei rücksichtslos durchgeführten Ausbildungsübungen oder durch technisch problematisches Kriegsgerät wie den Starfighter. 167 waren es allein im „Rekordjahr“ 1962. Hinzuzurechnen sind seit Bestehen der Bundeswehr 3.400 Suizide von Soldaten.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 7. Oktober 2013