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The same procedure as every year

Künstliche Aufregung bei Regierung und staatstragender Opposition in Berlin: US-Verteidigungsminister Robert M. Gates hat in einem als "ungewöhnlich scharf" und "unangemessen" bezeichneten Geheimbrief die Bereitstellung deutscher Soldaten für Kampfeinsätze in Südafghanistan gefordert.

Man sei von dem Brief "überrascht" worden, behauptete Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Freitag voriger Woche in aller Unschuld. Das Zeitungslesen scheint nicht zu seinen Aufgaben zu gehören. Sonst wüsste er, dass Gates sich schon Mitte Dezember öffentlich und nicht eben diplomatisch darüber beschwert hatte, dass etliche NATO-Verbündete sich am Afghanistankrieg nur unzureichend beteiligen. Gates sprach auf einer Konferenz im schottischen Edinburgh, die an sich schon ein heftiges politisches Signal war. Sie vereinigte nämlich ausschließlich die Verteidigungsminister jener acht Länder, die an der Aufstandsbekämpfung in Süd- und Südostafghanistan direkt beteiligt sind: USA, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Australien, Dänemark, Estland und Rumänien. Zuvor hatte Gates seine scharfe Kritik an den "frustierenden" Beiträgen einiger Verbündeter auch schon im Streitkräfteausschuss des Abgeordnetenhauses vorgetragen. SPIEGEL online titelte am 12. Dezember 2007: "Union und SPD über Ohrfeige aus den USA vergrätzt". Von einer Überraschung kann man also jetzt nicht glaubhaft reden.

Neu ist das Thema ohnehin nicht: Schon im September 2006 hatten die 26 Mitgliedsstaaten der NATO beschlossen, die Truppen in den afghanischen Kampfzonen um mindestens 2.500 Soldaten zu verstärken. Schon damals mahnte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer vor allem an die Adresse Deutschlands und Frankreichs: "Diejenigen Verbündeten, die in Afghanistan weniger tun, sollten nachdenken, ob sie mehr tun können. Es gibt bestimmt eine Reihe von Bündnispartnern, die mehr tun könnten."

Das Thema verlief sich damals zunächst im Sande. Die Truppenverstärkungen wurden von den ohnehin stark beanspruchten Streitkräften der USA und Großbritanniens gestellt. Alle paar Monate war aber die Forderung nach einer stärkeren deutschen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung wieder auf dem Tisch. Und während die Politiker in Berlin dieser Forderung jedes Mal mit großem theatralischen Aufwand widersprachen, kamen sie ihr in Wirklichkeit in kleinen Schritten immer mehr entgegen. Inzwischen läuft das Geschäft so routiniert ab, dass man versucht ist, von einem abgekarteten Spiel zu sprechen.

Schon seit dem 28. September 2005 können deutsche Soldaten in alle Teile Afghanistans, auch zu Kampfeinsätzen, abkommandiert werden. Diesen militärischen Blankoscheck verabschiedete der Bundestag bei nur 14 Gegenstimmen; die PDS war damals lediglich mit zwei Abgeordneten vertreten. In der Folge stellte die Bundeswehr Fernmeldesoldaten für die Kämpfe in der Provinz Kandahar ab. Deutsche Transportflugzeuge bringen Nachschub und Truppen in die Kampfgebiete. Zu diesem Zweck wurde die Zahl der in Afghanistan stationierten deutschen Transall-Maschinen von sechs auf acht erhöht. Seit Frühjahr 2007 wirken sechs deutsche Tornado-RECCE-Aufklärungsflugzeuge an Luftangriffen in allen Teilen Afghanistans mit. Außer der ISAF unterstützen sie auch die ausschließlich amerikanisch geführte "Operation Enduring Freedom". Im Oktober und November vorigen Jahres gab es die erste offensive Militäroperation, an der nicht nur Bundeswehrsoldaten beteiligt waren, sondern die auch unter deutschem Kommando stand. Schauplatz waren die Provinzen Badghis und Faryab in Nord-und Nordwestpakistan. Die Führung der gesamten Operation lag beim Regionalkommandeur Nord der ISAF, dem deutschen Brigadegeneral Dieter Warnecke.

Deutschland steckt längst mitten drin im Afghanistankrieg. Das Berliner Protestgeschrei gegen den Gates-Brief ist nur ein Ablenkungsmanöver. Ungewollt klar drückte sich der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, aus: Die USA sollten begreifen, dass die Bundesregierung die deutsche Bevölkerung "mitnehmen" müsse. Mitnehmen wohin? In einen Krieg, den eine große und zunehmende Mehrheit der Bevölkerung eigentlich ablehnt. Der Weg führt nach klassischer Salamitaktik über eine Vielzahl von Einzelschritten.

Wohl nicht zufällig fällt das Theater um den Gates-Brief mit dem intern schon so gut wie beschlossenen nächsten großen Eskalationsschritt zusammen: Die Bundeswehr wird in den kommenden Monaten eine 200 bis 250 Mann starke Schnelle Eingreiftruppe aus Fallschirmjägern und Panzergrenadieren aufstellen. Sie soll eine entsprechende norwegische Einheit ablösen, die in der unter deutschem Kommando stehenden Region Nord stationiert ist. Die deutsche Eingreiftruppe könnte von der NATO künftig auch für Kampfaufgaben in anderen Teilen Afghanistans angefordert werden. Dafür müssten zwar noch die restriktiven Einsatzvorschriften des deutschen Kontingents geändert werden. Nicht aber das vom Bundestag erteilte Mandat der Truppe: Es sieht keinerlei Beschränkungen vor. Die Politiker sind schon einen Schritt weiter als die Militärs.

Kettenreaktion

Wenn die in den Medien erzählte Geschichte stimmt, wurde der neue Streit um die militärische Aufgabenverteilung in Afghanistan von Kanada ausgelöst. Im Dezember hatte Außenminister Maxime Bernier seine Kollegin Condoleezza Rice bei einem Besuch in Washington "darauf aufmerksam gemacht", dass der Einsatz kanadischer Kampftruppen in der umkämpften Südprovinz Kandahar nur noch bis Ende Januar 2009 befristet ist. Eine Verlängerung sei problematisch, da nicht nur die kanadische Bevölkerung, sondern auch die Mehrheit des Parlaments inzwischen den Einsatz ablehnt. Die USA könnten der Minderheitsregierung in Ottawa aber durch eine Verstärkung ihrer eigenen Truppen psychologisch helfen, so Berniers Botschaft.

Im Januar wurde Premierminister Stephen Harper noch deutlicher: Kanada werde das Mandat seiner 2.500 Soldaten nur verlängern, wenn von anderer Seite weitere 1.000 Mann Kampftruppen nach Kandahar geschickt werden. Bei der offensiven Aufstandsbekämpfung sind dort schon 78 Kanadier ums Leben gekommen, fast alle in den letzten zwei Jahren.

Die USA reagierten auf Harpers Ultimatum mit der Ankündigung, zusätzlich zu ihren jetzt 26.000 Mann demnächst 3.200 Marines nach Afghanistan zu entsenden. 2.200 von ihnen sollen dem Regionalkommando Süd der ISAF unterstellt und in den Provinzen Kandahar und Helmand eingesetzt werden. Die übrigen 1.000 sollen bei der Ausbildung afghanischer Streitkräfte mitwirken. Die US-amerikanische Verstärkung soll im März eintreffen. Ihr Einsatz ist jedoch von vornherein auf etwa sieben Monate befristet, endet also im Oktober oder November.

Nach diesem Datum müssen die Marines in Südafghanistan durch Kampftruppen anderer NATO-Staaten ersetzt werden. Das ist im Wesentlichen die Botschaft des Briefs von Verteidigungsminister Robert M. Gates an mehrere verbündete Regierungen, der in Berlin so demonstrative Empörung hervorgerufen hat. Das bislang geheimgehaltene Schreiben enthält in der von der BILD-Zeitung am 2. Februar veröffentlichten Fassung keine konkrete Anforderung, wie etwa das in deutschen Medien kolportierte Verlangen nach 1.000 Gebirgsjägern der Bundeswehr.

Insgesamt sucht die NATO derzeit 7.500 zusätzliche Soldaten für Afghanistan. Die jetzt angekündigten 3.200 US-Marines füllen diese Lücke nur knapp zur Hälfte - und auch das nur für kurze Zeit.

Nächste Station: Pakistan

"So lange die Taliban und die afghanischen Aufständischen Rückzugsgebiete, Rekruten und Nachschub in den pakistanischen Stammesgebieten finden, können sie nicht geschlagen werden."

Das ist, langfristig gesehen, der wichtigste Satz in einer Studie des US-amerikanischen Atlantic Council zum Afghanistan-Krieg, die dieser Tage veröffentlicht wurde. Diese in USA mittlerweile allgemein anerkannte These führt zur Schlussfolgerung, dass eine Ausweitung des Krieges auf pakistanisches Gebiet unvermeidlich ist. Das wird die NATO in den kommenden Jahren vor militärische Aufgaben stellen, mit denen verglichen die Debatten um 3.000 oder 7.000 Mann Verstärkung für Südafghanistan nur eine Lappalie darstellen. Bei Deutschlands Mainstream-Politikern, die vom Kampf bis zum Endsieg in Afghanistan schwadronieren, scheint diese Erkenntnis noch nicht einmal als Thema gedanklich angekommen zu sein.

Die pakistanischen Streitkräfte und das aus der örtlichen Bevölkerung rekrutierte Grenzkorps haben seit Frühjahr 2004 unter großen eigenen Verlusten vergeblich versucht, den überwiegend von Paschtunen bewohnten Nordwesten des Landes militärisch zu unterwerfen. Dieser Krieg erfolgt ausschließlich auf Druck der US-Regierung, gegen den Willen erheblicher Teile des pakistanischen Militärs. Die Verfassung garantiert den Stämmen im Nordwesten, dass die Armee sich von ihren Territorien fernhält. Diese bis 2004 strikt eingehaltene Grundlage für die Beziehungen zwischen Zentralregierung und Stammesgebieten wurde durch die Feldzüge der letzten Jahre zerstört, mit verhängnisvollen Folgen für Pakistans Gesamtsituation. Die Studie des Atlantic Council konstatiert: "Die pakistanische Armee hat wenig Lust, andere Pakistanis zu töten. Vor allem dann, wenn ethnische und stammesmäßige Beziehungen es schwer machen, Freunde und Feinde genau voneinander unterscheiden. Heiraten in den Stammesgebieten haben dazu geführt, dass viele Taliban und andere Aufständische Teil örtlicher pakistanischer Familien wurden."

Im Januar gab Verteidigungsminister Robert M. Gates bekannt, die US-Regierung sei "bereit, willens und in der Lage", Spezialeinheiten zu Kampfeinsätzen nach Pakistan zu schicken. Voraussetzung sei aber die Zustimmung der dortigen Regierung. Die liegt bekanntermaßen bisher nicht vor. Im Gegenteil hat Präsident Pervez Musharraf in den vergangenen Wochen mehrfach bekräftigt, dass die Streitkräfte des Landes mit der Aufstandsbewegung allein fertig werden. Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung den Einfluss der USA schon jetzt für viel zu stark hält und eine weitere Einmischung entschieden ablehnen würde. Vor diesem Hintergrund bedeutet das "Angebot" von Gates in Wirklichkeit, dass die US-Regierung ihren Druck auf Pakistan verstärkt, "freiwillig" den Einsatz amerikanischer Streitkräfte zu akzeptieren.

Am 28. Januar wurde in Nordwestpakistan der von den USA als "Nummer 3 von al-Kaida" bezeichnete Abu Laith al-Libi durch eine Rakete getötet, die vermutlich von einer amerikanischen Drohne abgeschossen worden war. Solche Aktionen der USA haben in der Vergangenheit die Regierung in Islamabad in große Argumentationsschwierigkeiten gebracht. In diesem Fall zog sie es bisher vor zu schweigen. Pakistanische Medien interpretieren die gezielte Tötung als Auftakt für eine Zunahme "verdeckter Aktionen" der USA im geheimen Einverständnis mit dem Militärregime. Sie weisen darauf hin, dass sich in den letzten Wochen CIA-Direktor Michael Hayden, Geheimdienstkoordinator Michael McConnell und der für die Region zuständige militärische Oberbefehlshaber, Admiral William Fallon, in Islamabad die Türklinken in die Hand gegeben haben.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 4. Februar 2008