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Krieg gegen die Bevölkerung

Dass die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt, will Verteidigungsminister Franz Josef Jung immer noch nicht zugeben. Trotzdem teilte er der BILD am Sonntag im Macho-Jargon mit: „Wer uns angreift, muss wissen, dass er bekämpft wird.“

Die Wahrheit ist: Die Aufständischen, die am Donnerstag voriger Woche zwei Tanklastwagen in ihre Gewalt brachten, hatten keine deutschen Soldaten angegriffen. Und die Hunderte von Dorfbewohnern, die sich um die beiden Fahrzeuge scharten, um ein bisschen Benzin nach Hause zu tragen, waren erst recht keine Aggressoren. Auch Jungs Behauptung, dass „Gefahr im Verzug“ gewesen sei, weil die – auf einer Sandbank festliegenden! - Fahrzeuge für einen Anschlag gegen den Bundeswehrstützpunkt in Kundus benutzt werden sollten, sticht nicht.

Aber vielleicht lügt Jung trotzdem nicht, wenn er den Kritiken aus aller Welt zum Trotz selbst am Wochenende noch an der Behauptung festhielt, bei dem Luftangriff auf die Menschenmenge um die beiden Tankwagen seien „ausschließlich terroristische Taliban getötet worden“. Vielleicht liegt das vorläufig noch unausgesprochene Problem in Wirklichkeit darin, wie die Bundesregierung den Begriff „terroristische Taliban“ definiert?

Andere sprechen die Sache klarer an. Der Gouverneur der Provinz Kundus beispielsweise, Mohammad Omar, machte für den Angriff und seine Folgen die örtliche Bevölkerung verantwortlich: „Die Dorfbewohner haben den Preis dafür bezahlt, dass sie den Aufständischen helfen und ihnen Unterschlupf gewähren“, urteilte er laut einer Meldung der britischen Nachrichtenagentur Reuters vom Sonnabend. Diese zynische Feststellung hält den Mann, der mit den deutschen Besatzungstruppen bestens zusammenarbeitet, nicht davon ab, bei anderen Gelegenheiten zu behaupten, dass alle Getöteten „bewaffnete Taliban“ gewesen seien.

Tatsächlich herrschen im Gebiet westlich des Flusses Kundus, aus dem die Dorfbewohner zu den stecken gebliebenen Tankwagen geströmt waren, die Aufständischen. Am Fluss beginnt der Bezirk Chahar Dhara, der als Taliban-Hochburg gilt. Insgesamt befinden sich drei der sieben Bezirke der Provinz Kundus, die zur Besatzungszone der Bundeswehr gehört, weitgehend in der Hand der Aufständischen. Hauptsächlich handelt es sich dabei um paschtunische Enklaven in einer überwiegend von Tadschiken und Usbeken besiedelten Region.

Im Juli hatte die Bundeswehr, gemeinsam mit afghanischen Regierungstruppen, in einem mehrwöchigen Feldzug versucht, Chahar Dhara von Aufständischen zu „säubern“. Kaum hatten sich die Angreifer zurückgezogen, herrschten im gesamten Bezirk schon wieder die Taliban, wie Auslandskorrespondenten anschaulich berichteten. Ein solches Szenario setzt selbstverständlich voraus, dass die Aufständischen von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt werden. Mit Zwang allein ist das ganz gewiss nicht zu erklären.

Abgesehen von der Linken tragen alle im Bundestag vertretenen Parteien mit großer Mehrheit den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan und dessen zeitlich unbegrenzte Fortsetzung. Das Massaker von Kundus wird daran außer tagespolitischen rhetorischen Verrenkungen nichts ändern. In der Sache dürfte WELT-Redakteur Clemens Wergin Recht behalten, der als Schlussfolgerung am Freitag forderte, dass noch mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt werden müssen – damit man künftig weniger auf Luftangriffe angewiesen sei.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 7. September 2009