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EU Gipfel – und alle sind zufrieden?

Die Regierungschefs der Europäischen Union kamen am Montag zusammen, um erstmals seit Beginn der Kaukasus-Krise auf höchster Ebene ihr Verhältnis zu Russland in möglichst nichtssagende, für alle Mitgliedstaaten akzeptable Sätze zu kleiden. Die Übung ist offensichtlich gelungen. Nicht nur nach Ansicht des Spiegel, der online geflissentlich textete: „Sarkozy und Merkel kochen EU-Hardliner weich“. Zufrieden präsentieren sich auch die Regierungen der USA und Russlands, vermutlich die erste Übereinstimmung seit der Nacht auf den 8. August, als Michail Saakaschwili seinen Soldaten den Befehl gab, „die verfassungsmäßige Ordnung in der gesamten Region Tschinwali – Südossetien wieder herzustellen“.

Nach Ansicht des Weißen Hauses demonstriert die Stellungnahme des EU-Gipfels, „dass Europa und die Vereinigten Staaten sich einig sind, fest hinter Georgiens territorialer Integrität, Souveränität und Wiederaufbau zu stehen“. Auch schließe man sich dem Aufruf der EU an, Südossetien und Abchasien nicht anzuerkennen.

Das russische Außenministerium lobt das „verantwortungsvolle Verhalten“ der EU-Regierungschefs. Zwar habe es im Vorfeld von einigen Staaten Aufrufe zur Verhängung von Sanktionen und zum Einfrieren der Beziehungen zu Russland gegeben. „Aber die Hauptsache ist (...), dass die Mehrheit der EU-Staaten (...) ihren Kurs der Partnerschaft mit Russland bestätigt hat , da sie sich sehr wohl der Bedeutung gegenseitig vorteilhafter Beziehungen bewusst ist“.

Tatsächlich enthält die verabschiedete Erklärung nicht das Wort „Sanktionen“. Die Forderung nach unmittelbaren Strafmaßnahmen war aber auch schon im Vorfeld von den führenden europäischen Mächten nicht nur fallen gelassen, sondern explizit abgelehnt worden. Ohnehin ist es nur eine, freilich von Großbritannien angeführte, kleine Minderheit post-sowjetischer Staaten in der EU, die scharf konfrontative Töne gegen Russland anschlägt. Die einzige konkrete Drohung der EU-Entschließung besteht in der Ankündigung, dass man das nächste Verhandlungstreffen über einen geplanten Partnerschafts- und Zusammenarbeitsvertrag mit Russland verschieben werde, falls sich die russischen Truppen bis dahin nicht „auf die Positionen zurückgezogen haben, die sie vor dem 7. August innehatten“. Was diese Formulierung genau meint, ist allerdings umstritten. Das nächste europäisch-russische Treffen über den Vertrag war bisher für den 15. September verabredet. Die praktische Bedeutung der Drohung, den Termin zu verschieben, ist sehr gering zu veranschlagen.

Sehr viel wesentlicher als solche symbolischen Spielereien ist die Frage, in welche Richtung die europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen im Energiebereich weiterentwickelt werden. Es gibt, ausgehend vor allem von den USA und unterstützt von der britischen Regierung, schon länger, unabhängig vom jetzigen Konflikt, eine starke Tendenz, die europäischen Energie-Importe aus Russland (Erdgas, Erdöl) wesentlich einzuschränken. In diesen Zusammenhang gehören sowohl massive Störmanöver gegen die geplante Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee als auch das Projekt einer nicht über Russland führenden Süd-Pipeline (Nabucco). Die Gipfel-Stellungnahme sagt dazu, weit interpretierbar: „Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass Europa seine Bemühungen im Bereich der Sicherheit der Energieversorgung verstärken muss“. „Diesbezügliche Initiativen, insbesondere im Bereich der Diversifizierung der Energieversorgung und der Lieferwege“ (das heißt konkret: Reduzierung des russischen Anteils) seien „zu prüfen“.

Was sich künftig auf diesem Gebiet tun wird, ist weitaus aussagekräftiger, da wirtschaftlich und auch außenpolitisch schwerwiegender, als die Frage, ob irgendwo das Wort „Sanktionen“ steht oder nicht.

In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels wird außerdem die „unverzügliche“ Entsendung einer „Erkundungsmission“ angekündigt, die „die Modalitäten für ein verstärktes Engagement der Europäischen Union vor Ort“ erkunden und „genauer bestimmen“ soll. Ein förmlicher Beschluss darüber soll schon in etwa zwei Wochen fallen.

Was in diesem Zusammenhang der Begriff „vor Ort“ genau bedeutet, wird – vermutlich bewusst und absichtlich – nicht präzisiert: nur das eigentliche Georgien, oder etwa auch die inzwischen von Russland als unabhängige Staaten anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien? Sicher ist, dass eine „Ersetzung“ der derzeit noch in der etwa 10 Kilometer breiten Pufferzone auf georgischem Gebiet stationierten Russen – etwa 500 Mann – durch einen „internationalen Überwachungsmechanismus“ unter europäischer Beteiligung angestrebt wird. Russland hat zwar im Prinzip schon zugestimmt. Unklar ist aber, ob man in Moskau dabei wirklich an Ersetzung oder nur Ergänzung durch internationale Beobachter denkt.

Die EU-Erklärung spricht außerdem die Beteiligung an einer „Stärkung der Beobachtungsmission der OSZE in Südossetien“ an. Das könnte zum Streitpunkt werden, zumal da die EU auf der den politischen Realitäten widersprechenden, neue militärische Abenteuer ermutigenden Fiktion beharrt, dass Südossetien ebenso wie Abchasien Teile Georgiens seien. Fraglich ist auch, welche Grundlage künftig überhaupt noch für die Präsenz einer OSZE-Mission in Südossetien besteht, nachdem Georgien am Freitag voriger Woche einseitig die 1992 und 1994 geschlossenen Waffenstillstandsabkommen mit Südossetien und Abchasien aufgekündigt hat. Seltsam berührt in diesem Zusammenhang, dass die EU-Erklärung kein Wort der Kritik an diesem provokatorischen Schritt enthält.

Forderungen der USA und der EU, „Beobachter“ mit militärischem Rang oder sogar westliche Truppen (etwa unter dem Deckmantel der UNO) in Südossetien und Abchasien zu stationieren, bergen enormen Zündstoff für eine neuerliche Eskalation des Konfliktes. Außenminister Sergej Lawrow stellte bereits klar, dass die EU derartige Wünsche nicht an Russland richten möge, sondern an Südossetien und Abchasien, da nur diese darüber zu entscheiden hätten. Der südossetische Präsident Eduard Kokoiti hat der Präsenz westlicher „Beobachter“ bereits eine Absage erteilt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. September 2008