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Bundeswehr noch auf Jahrzehnte in Afghanistan?

In diesen Tagen überschlagen sich die Spekulationen über die Zukunft des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Dabei steht die nächste Abstimmung im Bundestag erst im Oktober an.

Für medienwirksamen Unfrieden in den Koalition sorgt der Vorschlag einer SPD-Kommission, die rund 100 Mann starke Einheit des KSK (Kommando Spezialkräfte) aus der amerikanisch geführten Operation Enduring Freedom (OEF) herauszuziehen. Stattdessen soll sie in die ISAF (International Security Assistance Force) eingegliedert und damit dem Kommando der NATO unterstellt werden. Gleichzeitig will die SPD am Einsatz von derzeit rund 3.000 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der ISAF festhalten.

Die praktische Bedeutung dieses Vorschlags ist auf den ersten Blick schwer zu verstehen. Zum einen wurde das KSK schon seit zwei Jahren von den Amerikanern gar nicht mehr angefordert, sondern ist in Nordafghanistan stationiert, wo es als Teil der Bundeswehrkräfte eingesetzt wird. Zweitens bestehen spätestens seit den Umstrukturierungen des vorigen Jahres zwischen den Aufgaben und Vorgehensweisen von OEF und ISAF kein erkennbaren Unterschiede mehr. Die USA haben die Hälfte ihrer in Afghanistan stationierten Streitkräfte ohnehin schon dem ISAF-Kommando unterstellt. Zur Zeit gibt es in Afghanistan rund 35.000 ISAF-Soldaten , während etwa 10.000 Amerikaner noch als OEF selbstständig geführt werden. Beide Formationen arbeiten engstens zusammen und verschmelzen in der Praxis immer mehr.

Der Vorschlag der SPD-Kommission folgt der sozialdemokratischen Tradition, die Ernst Busch einst mit den Worten "Wir schlagen Schaum, wir seifen ein" besang. Die Idee ist ein Köder, mit dessen Hilfe es der Bundestagsfraktion erleichtert werden soll, im Oktober der Mandatsverlängerung für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan möglichst geschlossen zuzustimmen. SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sprach dies in der "Welt" offen aus, indem er die Anbindung des KSK an OEF als politische "Hypothek" bezeichnete, von der man sich befreien wolle.

Denn die Operation Enduring Freedom steht mittlerweile bei großen Teilen der SPD und der Grünen als Sündenbock für alles, was in Afghanistan schief läuft. Zu denken ist dabei in erster Linie an die Tötung und Verletzung afghanischer Zivilisten durch hemmungslosen Einsatz von Kampfflugzeugen und -hubschraubern.

Im Gegensatz dazu wollen Sozialdemokraten und Grüne die ISAF propagandistisch mit den Dingen verbinden, an denen es auch in den nächsten Jahren festzuhalten gilt: Hilfe beim wirtschaftlichen Wiederaufbau, Ausbildung afghanischer Polizisten und Soldaten, damit das Land recht bald allein für seine Sicherheit sorgen kann.

Diese Darstellung der Verhältnisse steht im Widerspruch zur Realität und setzt offenbar auf den mangelhaften Informationsstand der deutschen Bevölkerung und in den eigenen Parteireihen. In Wirklichkeit unterscheidet sich das, was die britischen, kanadischen und niederländischen ISAF-Streitkräfte seit vorigem Jahr in eigener Regie in Südafghanistan machen, nicht wesentlich vom Vorgehen der Amerikaner in deren Zuständigkeitsbereich Ostafghanistan. Wenn man die Namen der Provinzen betrachtet, in denen Zivilisten durch Luftangriffe getötet wurden, sind oft Helmand und Kandahar darunter, für die im Rahmen der ISAF Briten und Kanadier zuständig sind.

Statt mit dem Finger anklagend auf die Amerikaner zu verweisen, sollte die Bundesregierung endlich Auskunft geben, welchen konkreten Anteil die sechs deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die seit Frühjahr in Afghanistan stationiert sind, an den Luftangriffen gegen zivile Ziele haben.

Die politische Kontrolle über den Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten hat die Bundesregierung längst verloren oder aufgegeben. CDU und SPD argumentieren jetzt nur noch wie ein Spieler, der sich hartnäckig weigert, das Kasino zu verlassen, nachdem er bereits Zehntausende verloren hat: Jetzt, wo man schon so viel investiert habe, gelte es weiterzumachen.

Die Situation stellte sich völlig anders dar, als der Bundestag im Dezember 2001 erstmals der Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan zustimmte. Die ISAF-Truppen, zu jener Zeit insgesamt nicht mehr als 5.000 Mann stark, wurden ausschließlich in der Hauptstadt Kabul stationiert, wo sie Polizeiaufgaben übernahmen. Für den Rest des Landes waren die Amerikaner zuständig, die im Rahmen von OEF Jagd auf versprengte Reste der "al-Kaida-Terroristen" machen sollten. Die Taliban, deren Macht innerhalb von wenigen Wochen zusammengebrochen war, galten damals als definitiv geschlagen.

Im Oktober 2003 gab es die erste Veränderung: Die NATO übertrug der Bundeswehr die Zuständigkeit für Nordafghanistan. Erstmals wurden damit ISAF-Kräfte außerhalb Kabuls tätig. Die offizielle Begründung lautete, dass Afghanistan inzwischen soweit "befriedet" sei, dass der Wiederaufbau in den Vordergrund treten könne. Für den Norden traf das tatsächlich weitgehend zu. Das überwiegend von Tadschiken und Usbeken bewohnte Gebiet hatte niemals zum Machtbereich der Taliban gehört. Es gab (und gibt) dort auch keine Aufstandstätigkeit.

Ganz anders entwickelte sich jedoch die Situation im paschtunischen Süden und Osten, wo die Amerikaner seit 2003 auf zunehmenden bewaffneten Widerstand stießen. Im Laufe des Jahres 2006 übernahm die ISAF auch die Zuständigkeit für diese Landesteile. Seither handelt es sich bei ISAF absolut eindeutig um einen Kampfeinsatz, auch wenn sich für die meisten deutschen Soldaten bisher wenig geändert hat. Mit dem ursprünglichen ISAF-Mandat hat das nichts mehr zu tun.

Im Jahr 2001 mochte die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan der Regierung Schröder-Fischer als kluger Schachzug erscheinen: Man engagierte sich auf einem scheinbar ruhigen, gefahrlosen Schauplatz - und hatte es damit argumentativ etwas leichter, sich aus dem in Vorbereitung befindlichen Irakkrieg herauszuhalten. Inzwischen jedoch verfolgt die deutsche Militärpräsenz in Afghanistan keine erkennbaren Zwecke mehr, sondern ergibt sich nur noch aus der Zwangslage, aus einem gemeinsamen Krieg des NATO-Bündnisses nicht mehr aussteigen zu können. Damit verbunden ist aber auch der unausweichliche Druck, sich an diesem Krieg, in dem Deutschland bisher immer noch weitgehend abseits steht, schrittweise stärker zu beteiligen. Irgendwann bis hin zum Einsatz von Kampftruppen.

Wie lange soll der politisch schon verlorene Kolonialkrieg noch dauern? "Decades", Jahrzehnte, prophezeit der britische Botschafter in Kabul, Sherard Cowper-Cole. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam, Generalleutnant Karlheinz Viereck, sieht es offenbar ähnlich: "Ich möchte mich nicht festlegen auf 10, 20 oder 30, aber es wird noch ein paar Jahre dauern."

Da sehnt man sich im Interesse der afghanischen Menschen nach der Lernfähigkeit des früheren Politbüros der KPdSU. Die alten Herren benötigten "nur" acht Jahre zur Einsicht in die Aussichtslosigkeit ihrer Militärintervention. Sechs Jahre haben Deutschland und die NATO bald rum.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 4. Juli 2007

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