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Bundeswehr in Afghanistan: Wer "A" sagt, wird auch "B" sagen

Die Bundesregierung ist nach Pressemeldungen entschlossen, sechs Tornado-Flugzeuge der deutschen Luftwaffe nach Afghanistan zu schicken, um die Aufstandsbekämpfung im Süden und Osten des Landes zu unterstützen. Grüne und FDP, die den Bundeswehreinsatz in Afghanistan von Anfang an mittragen und - im Fall der Grünen - sogar ursächlich mitzuverantworten haben, geben sich angesichts des Vorhabens der Regierung überrascht, wenn nicht sogar empört. Selten sah man so miserable Schauspieler in einem so dümmlichen Stück. Ein Rückblick auf die Fakten:

Kurz nach der Bundestagswahl wurde das Parlament am 28. September 2005 zu einer Sondersitzung einberufen, um schnell noch in alter Besetzung über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr abzustimmen. 535 Abgeordnete stimmten mit Ja, nur 14 votierten dagegen; außerdem gab es vier Enthaltungen. Neben den damals nur zwei PDS-Abgeordneten, Gesine Lötzsch und Petra Pau, hatten drei Vertreter der CDU/CSU, fünf von der FDP und genau ein SPD-Mann gegen den Antrag gestimmt. Aus der Fraktion der Grünen hatten sich nur zwei Abgeordnete zu einem Nein durchgerungen: Winfried Hermann und Hans-Christian Ströbele. Die vierzehnte Gegenstimme kam von dem fraktionslosen Abgeordneten Martin Hohmann, ehemals CDU.

Im Wesentlichen stimmte die Resolution von 2005 mit der des Vorjahres überein. Sie enthielt nur zwei wichtige Änderungen. Erstens: Die Obergrenze der in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten wurde von 2.250 auf 3.000 angehoben, also um ein Drittel. Zweitens: Die Bundeswehr kann künftig auch außerhalb ihres Mandatsgebietes (Nordafghanistan und Kabul) überall in Afghanistan eingesetzt werden.

Was das bedeutete, war eindeutig. Knapp vier Monate zuvor, am 9. Juni 2005, hatte die NATO beschlossen, das Einsatzgebiet der ISAF auf den Süden Afghanistans auszudehnen. Britische und kanadische Soldaten sollten dort ab 2006 Aufgaben übernehmen, die bisher von den außerhalb der ISAF agierenden US-Streitkräften wahrgenommen worden waren. Das hieß in erster Linie offensive, aggressive Aufstandsbekämpfung. Mit dem ISAF-Mandat ist das nicht vereinbar. Aber das schien unter den verantwortlichen Politikern und Militärs niemanden zu stören. Auch die deutschen nicht.

Damals regierten noch Schröder und Fischer. Zu Unrecht wird ihnen nachgerühmt, sie hätten "uns aus dem Irak-Krieg herausgehalten". Und ebenfalls zu Unrecht wird allgemein übersehen, dass die beiden uns in den Afghanistan-Krieg hineingeführt haben.

Der Bundestagsbeschluss vom 28. September 2005 ist für die Bundesregierung und die Bundeswehr der Freibrief, die Aufstandsbekämpfung in Südafghanistan zu unterstützen. Und die Anhebung der Obergrenze um 750 Soldaten schuf dafür die vorläufigen materiellen Voraussetzungen.

Die Sätze der Resolution, um die es geht, lauten: "Deutsche Streitkräfte werden in den ISAF-Regionen Kabul und Nord eingesetzt. Darüber hinaus können sie in der ISAF-Region West sowie im Zuge der weiteren IAF-Ausdehnung in anderen Regionen für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen eingesetzt werden, sofern diese Unterstützungsmaßnahmen zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind."

Der Bundestagsbeschluss ist, mit Begründung, 16 Seiten lang und teilweise von einer geradezu verspielten Detailfreudigkeit. Im entscheidenden Punkt hingegen, der Mandatsausdehnung auf ganz Afghanistan, ist er bemerkenswert dürr und im Grunde absolut nichtssagend. Denn was heißt das: "zeitlich und im Umfang begrenzt"? Wo sind die Obergrenzen? Irgendwie ist letztlich alles auf der Welt begrenzt, bis auf vielleicht das Universum. Die FAZ zitierte am 22. Dezember bereits Regierungskreise mit der Aussage, "das gesamte Mandat habe ja eine begrenzte Gültigkeit bis Oktober 2007, also wäre der betreffende Aufklärungseinsatz naturgemäß auch begrenzt". Richtig, und ebenso richtig ist, dass die Zahl der deutschen Soldaten, die rein theoretisch in Südafghanistan eingesetzt werden könnten, durch die Obergrenze des Gesamtmandats begrenzt ist. Demnach handelt es sich bei den Worten des Bundestagsbeschlusses "zeitlich und im Umfang begrenzt" nur um eine tröstliche, beschönigende Floskel ohne jeden Aussagewert.

Und was bedeutet in diesem Zusammenhang das Wort "unabweisbar"? Wer entscheidet darüber? Ganz sicher nicht der Bundestag. Und die Bundesregierung? Letztlich lassen die militärischen Befehlsstrukturen der NATO ganz bestimmt nicht zu, in einer gegebenen Situation tage- oder gar wochenlange Diskussionen über "Unabweisbarkeit" zu führen.

Inzwischen unterstützt, wie man ganz nebenbei erfährt, die Bundeswehr schon seit Monaten die Aufstandsbekämpfung in Südafghanistan durch Transportflüge und Fernmeldesoldaten. Hat man je gehört oder gelesen, dass die Bundesregierung der deutschen Öffentlichkeit die "Unabweisbarkeit" dieser Unterstützung dargelegt hat? Hat man je gehört oder gelesen, was deutsche Transportflugzeuge zu den verbündeten Streitkräften in den Süden bringen? Teebeutel, Kekse? Munition, Waffen? Und was machen die deutschen Fernmeldesoldaten in der Provinz Kandahar? Telefonleitungen reparieren? Oder den feindlichen Funkverkehr abhören und dadurch direkt die offensive Aufstandsbekämpfung unterstützen? Man erfährt darüber nichts. Man kann aber auch nicht gerade behaupten, dass deutsche Politiker und Journalisten besonders hartnäckig nachfragen.

Die mit der Bundestagsresolution vom 28. September 2005 vorgenommene Mandatsausweitung stellt eine Zäsur in der Geschichte der Auslandseinsätze der Bundeswehr dar. Diesen entscheidenden Einschnitt in einen dürren, nichts definierenden, alles offen lassenden Satz zu fassen, spricht vom Interesse von über 80 Prozent der Bundestagsabgeordneten, es so genau lieber gar nicht wissen und mitbestimmen zu wollen. Der Vorgang dokumentiert, wie sehr Deutschlands politische Kultur von Feigheit und Verantwortungslosigkeit geprägt ist.

Im Bundestagsbeschluss vom 28. September 2005 steht darüber hinaus ein hochinteressanter Absatz, der bisher selten zitiert wurde, aber jetzt eine Rolle spielt im Streit um die Frage, ob ein neuer Bundestagsbeschluss nötig ist: "Mit der Ausdehnung auf weitere Regionen wird ISAF weitere Verantwortung für die Stabilisierung und die Absicherung des Wiederaufbaus des Landes übernehmen. Zur Bewältigung dieser Herausforderung ist die Allianz als Ganzes gefordert. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die den gesamten ISAF-Verantwortungsbereich abdeckende Führungs- und Kommunikationsstruktur sowie Logistik, Sanitätsversorgung, Nachrichtengewinnung und Aufklärung. Das deutsche ISAF-Kontingent, deutsche Soldaten in NATO-Stäben wie auch deutsche Anteile an NATO-Verbänden (z.B. NATO-Fernmeldebataillone) sollen daher in die Lage versetzt werden, neben dem operativen Schwerpunkt 'ISAF-Nordregion' die ISAF-Operationen zeitlich und im Umfang begrenzt in anderen Regionen zu unterstützen, sofern dies zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar ist."

Das heißt: Der Bundestag hat am 28. September 2005 ausdrücklich der Ausdehnung der ISAF auf ganz Afghanistan und damit letztlich auch der Heranziehung von ISAF-Soldaten zur offensiven, aggressiven Aufstandsbekämpfung zugestimmt. Wenn einzelne Bundestagsabgeordnete diesen Zusammenhang damals nicht begriffen haben, muss ihr Informationsstand, aber auch ihr Wille, sich vor einer solchen Entscheidung adäquat schlau zu machen, erbärmlich gewesen sein. Zweitens: Der Bundestag hat sich ausdrücklich zu dem Prinzip bekannt, dass "zur Bewältigung dieser Herausforderung", nämlich des Einstiegs der ISAF in die Aufstandsbekämpfung, "die Allianz als Ganzes gefordert" ist. Dieser Selbstverpflichtung können sich Bundesregierung und Bundestags schwerlich entziehen. Und drittens: "Nachrichtengewinnung und Aufklärung" wurden schon 2005, sehr vorausschauend, ausdrücklich als mögliche Zwecke eines Bundeswehreinsatzes in Südafghanistan genannt. Da kann eigentlich kein Bundestagsabgeordneter mehr behaupten, er habe nichts gewusst.

Mehr noch: Am 28. September 2006 hat der Bundestag das Afghanistan-Mandat um ein weiteres Jahr verlängert. Der alles offen lassende Satz über den Einsatz von Bundeswehrangehörigen in allen Teilen Afghanistans und der eben zitierte Absatz blieben unverändert. Kurz zuvor hatte die NATO den öffentlichen Druck auf Deutschland, Frankreich, Spanien und andere Mitglieder verstärkt, sich direkt an der Aufstandsbekämpfung zu beteiligen. Jedem Bundestagsabgeordneten, der vor drei Monaten trotzdem für den Beschluss stimmte, muss bewusst gewesen sein, was dieser Satz beinhaltet und was sein Zweck ist. Und trotzdem: Der Beschluss wurde, ohne die Konsequenzen auch nur ernsthaft zu diskutieren, mit 492 Ja-Stimmen gegen 71 Nein, bei 9 Enthaltungen, problemlos durchgewunken. Nur die Linke stimmte geschlossen dagegen. 4 Abgeordnete der Union, 7 Sozialdemokraten, 3 FDPler, 7 Grüne und ein Fraktionsloser votierten ebenfalls mit Nein.

Vor diesem Hintergrund wirken weder die Grünen noch die FDP glaubwürdig, wenn sie sich angesichts der vermutlich bevorstehenden Tornado-Verlegung nach Afghanistan überrascht geben. Viel mehr als parteipolitische Taktik und das Schielen nach jedem Punktgewinn steckt kaum dahinter.

Die FDP-"Verteidigungsexpertin" Birgit Homburger klagt jetzt die Informationspolitik der Bundesregierung an . "Die Anfrage der Nato habe offenbar bereits am 11. Dezember vorgelegen und dennoch habe es die Regierung nicht für nötig befunden, in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten zumindest die Obleute des Verteidigungsausschusses zu informieren." (Spiegel Online, 21.12.2006)

Eine seltsame, extrem peinliche Kritik der Frau Homburger. Liest sie keine Zeitungen? Über die Entsendung der Tornados nach Afghanistan wird öffentlich und ausführlich schon seit Anfang September gesprochen. Bereits am 2. September berichtete die WELT darüber. Allerdings mit dem Zusatz, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan habe einen solchen Einsatz abgelehnt. Ebenso der Spiegel am 8. September: "Der Vorschlag, für Aufklärung ausgerüstete Kampfflugzeuge vom Typ Tornado ("Recce") in der Region zu stationieren, ist von der militärischen Führung hingegen nicht aufgegriffen worden." Die Bild am Sonntag berichtete am 1. Oktober: "Uneinig sind sich die Militärs über den Einsatz von vier bis sechs Aufklärungsflugzeugen vom Typ Tornado in Afghanistan. Während das Einsatzführungskommando (Befehlshaber Generalleutnant Karlheinz Viereck) ebenso wie der Oberbefehlshaber der NATO in Europa (US-General James L. Jones) darin einen 'wertvollen Beitrag zur Gesamtoperation' sehen, lehnt Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan den Einsatz von Tornados, für den 250 Soldaten zusätzlich abkommandiert werden müssten, strikt ab. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen, ließ der höchste deutsche General erklären."

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Das Thema war ständig in den Medien. Am 22. November schrieb Spiegel Online unter der Zwischenüberschrift "Tornados als Zeichen des guten Willens": "Erwogen wird der Einsatz von Bundeswehr-Tornados für die Aufklärung. Grundsätzlich wäre die Regierung dazu bereit, auch wenn sie Konflikte wie beim Einsatz der Kampfjets im Kosovo fürchtet. Damals wurde kritisiert, Daten der Flugzeuge führten zu Bombardierungen. Außerdem wären die Piloten dem Isaf-Kommando unterstellt- Feuerbefehlen könnten sie sich im Einzelfall nicht entziehen."

Bei der Abgeordneten Homburger oder auch bei dem jetzt scheinbar aus allen Wolken fallenden Nachtwei hätte es gelegen, gleich nach den ersten Meldungen die Bundesregierung öffentlich mit hartnäckigen Fragen zu konfrontieren.

Außerdem: Ganz sicher wurde die Diskussion um die Tornados nicht erst am 11. Dezember durch die angebliche NATO-Anfrage ausgelöst, die nur als ein pro-Forma-Trick zu interpretieren ist. Was ist die wirkliche Geschichte, die sich dahinter verbirgt?

Knut Mellenthin

24. Dezember 2006