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Warum Tornados keine "Kollateralschäden" verhindern

Der deutsche Bundestag hat am Freitag, dem 9. März 2007, mit großer Mehrheit den Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge für die Luftaufklärung über Afghanistan beschlossen. Bemerkenswert hoch war jedoch die Zahl der Nein-Stimmen mit 157. Das ist mehr als je zuvor bei einer Debatte über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Gegen die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan hatten am 28. September 2006 nur 71 Abgeordnete gestimmt. Ein Jahr davor waren es lediglich 14 gewesen; die PDS war damals nur mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten.

Erwartungsgemäß stimmten jetzt die 53 Abgeordneten der Linkspartei.PDS geschlossen gegen die Entsendung der Tornados. Überraschend war, dass auch rund ein Drittel der SPD-Fraktion, genau gesagt 69 Abgeordnete, mit Nein stimmten. Von den Abgeordneten der Grünen Partei, die vor 25 Jahren einmal unter dem heute nur noch legendären Motto "Gewaltfrei" angetreten war, votierten 26 mit Ja, 20 mit Nein.

Unter den Nein-Stimmen sind auch einige Unionsabgeordnete. So Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU), die sofort nach der Abstimmung eine Klage beim Bundesverfassungsgericht auf den Weg brachten. Begründung: Der Beschluss bedeute die Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen, vom NATO-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen.

Im Vorfeld der Bundestagsdebatte hatte Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) in einem Interview mit Spiegel Online für den Tornado-Einsatz geworben: "Wir müssen alles daran setzen, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sonst droht die Gefahr, dass sich früher oder später die Stimmung gegen die Schutztruppe richten wird. Mit unseren Tornados werden wir einen Beitrag leisten, um Kollateralschäden zu minimieren."

Klingt nicht schlecht. Ist aber erwiesenermaßen falsch: Deutsche Aufklärungs-Tornados waren schon im Kosovo-Krieg (März bis Juni 1999) im Einsatz. Die Zahl der "Kollateralschäden" war damals außerordentlich hoch. Nach einer Schätzung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kamen bei 90 Zwischenfällen rund 500 Zivilpersonen ums Leben. Die Regierung in Belgrad sprach von 2.000 getöteten Zivilisten.

Aufklärungsflugzeuge können "Ziele" melden, mehr nicht. Ihr Einsatz kann nicht verhindern, dass sich auf einer später angegriffenen Bahnstrecke gerade ein Zug, auf einer Brücke gerade ein Bus befindet. Auf diese Weise starben im Kosovo-Krieg allein bei zwei Angriffen über 100 Menschen. Auf die Festlegung, was nach dem Verständnis der US-Luftwaffe "legitime Ziele" sind, hat die Bundesregierung keinen Einfluss. In Belgrad kamen 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Fernsehsenders bei einem gezielten Angriff ums Leben, den man wohl als verbrecherisch ansehen muss. Und schließlich: Die beste Luftaufklärung kann nicht verhindern, dass rund ein Viertel der Bomben und Raketen ihr Ziel verfehlen, wie eine offizielle US-amerikanische Analyse des Kosovo-Krieges ergab.

Beim jüngsten Zwischenfall in Afghanistan am Montag starben fünf Frauen, drei Kinder und ein alter Mann in ihrem Haus. Das Gebäude war zum "legitimen Ziel" geworden, weil angeblich zwei Kämpfer sich dort versteckt hatten. Die US-Luftwaffe löschte mit einer superschweren Bombe das Leben aller Bewohner aus. Nicht wegen fehlender Luftaufklärung, sondern aus Mangel an Humanität: Um eigene Verluste zu vermeiden, setzen die NATO-Streitkräfte in Afghanistan schnell und massiv Luftwaffe und Artillerie gegen Wohnhäuser und Dörfer ein, wenn sie feststellen, dass es dort Aufständische gibt. Die Verluste unter der Zivilbevölkerung sind entsprechend hoch, und sie werden bewusst in Kauf genommen. Künftig auch mit Hilfe der Ergebnisse deutscher Luftaufklärer.

Knut Mellenthin

Erweiterte Fassung eines am 10. März 2007 in der Jungen Welt erschienenen Artikels

"Kollateralschäden" im Kosovo-Krieg.

  • 5. April 1999
    In der serbischen Stadt Aleksinac wird ein Straßenzug durch NATO-Raketen ausgelöscht, 17 Bewohner kommen dabei uns Leben.
  • 7. April 1999
    In Pristina sterben bei Angriffen auf ein Treibstofflager zehn Zivilisten.
  • 12. April 1999
    Ein NATO-Jet beschießt bei Leskovac eine Bahnstrecke und trifft einen Zug, der eine Brücke überquert. Aus den Waggons werden 55 Todesopfern geborgen.
  • 14. April 1999 NATO-Flugzeuge greifen Flüchtlingstrecks bei Meha und Djakovica im Kosovo an, wobei 75 Menschen getötet werden.
  • 23. April 1999
    Gezielter Angriff auf das Staatsfernsehen RTS in Belgrad, den 16 Mitarbeiter der Frühschicht nicht überleben.
  • 28. April 1999
    Bei Bombentreffern in Surdulica sterben 16 Zivilisten in den Trümmern ihrer Häuser.
  • 1. Mai 1999
    Mit der Bombardierung einer Brücke nahe Luzane im Kosovo wird ein Bus getroffen, 47 Insassen überleben diesen Angriff nicht.
  • Mai 1999
    Splitterbomben der NATO treffen in Nis Hospital und Marktplatz, 15 Zivilisten erleiden tödliche Verletzungen.
  • 8. Mai 1999
    In Belgrad treffen Raketen die Botschaft Chinas, drei Menschen werden getötet.
  • 13. Mai 1999
    Nach der Beschießung eines Gehöfts bei Korisa durch NATO-Jets an der jugoslawisch-albanischen Grenze sind 87 Flüchtlinge tot.
  • 20. Mai 1999
    Eine fehlgeleitete NATO-Bombe trifft ein Belgrader Krankenhaus und tötet drei Personen.
  • 21. Mai 1999
    NATO-Raketen schlagen im Gefängnis Istik im Kosovo ein, zehn Tote.
  • 22. Mai 1999
    Ein versehentlicher NATO-Angriff auf ein UÇK-Camp in Kosare fordert sieben Todesopfer.
  • 28. Mai 1999
    Bei einem massiven Luftangriff der NATO auf den Flughafen von Pristina, Munitions- und Militärdepots sowie Rundfunk- und Fernsehstationen kommen neun Zivilisten ums Leben.
  • 30. Mai 1999
    Beschuss einer Brücke in Varvarin nahe Krusevac, es werden elf Tote gezählt.
  • 31. Mai 1999
    Bei einem Raketeneinschlag in einem Wohnhaus in Novi Pazar kommen 23 Menschen um.

Quelle: "Freitag", 24. März 2000