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Rückschläge für die NATO
Afghanistans Präsident Karsai fordert beschleunigten Abzug der Besatzungstruppen. Taliban setzen Verhandlungen mit den USA aus.
Die NATO hat im Afghanistankrieg ihren größten Verlust seit Sommer vorigen Jahres erlitten. Beim Absturz eines Militärhubschraubers am Rande der Hauptstadt Kabul kamen am Freitag zwölf türkische Soldaten ums Leben. Das Gerät streifte bei einer Notlandung zunächst ein Haus und stürzte dann in ein weiteres. Mindestens zwei Mädchen wurden nach Angaben der Behörden getötet, ein drittes Kind und eine Frau mussten mit Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Im August 2011 starben beim Abschuss eines Hubschraubers 30 US-Soldaten.
Über die Ursachen des gestrigen Unfalls machte die NATO zunächst keine Angaben. Ein Sprecher teilte lediglich mit, dass es zur Zeit des Absturzes „keine feindlichen Aktivitäten“ gegeben habe. Die Türkei stellt mit 1.845 Soldaten eines der größeren Kontingente unter den insgesamt rund 130.000 Angehörigen der ISAF-Besatzungstruppen. Die Türken nehmen nicht an Kampfeinsätzen teil.
Am Donnerstag hatten die Bemühungen der westlichen Allianz, ihren nun schon mehr als zehn Jahre dauernden Krieg in Afghanistan als scheinbare Erfolgsgeschichte zu beenden, zwei Rückschläge erlitten. Präsident Hamid Karsai äußerte bei einem Besuch des US-Verteidigungsministers Leon Panetta in Kabul den Wunsch, die Aktivitäten der Besatzungstruppen stark zu reduzieren und die „Übergabe der Verantwortung“ an die einheimischen Sicherheitskräfte schon im nächsten Jahr statt, wie geplant, erst Ende 2014 abzuschließen. Am selben Tag teilten die Taliban auf ihrer Website die Unterbrechung ihrer Verhandlungen mit der US-Regierung mit.
Karsais Rolle geht praktisch nicht über die eines von den USA abhängigen Marionettenpolitikers hinaus. Seine zahlreichen rhetorischen Versuche, trotzdem Autonomie und Kritikfähigkeit zur Schau zu stellen, sind mittlerweile Legende und haben noch nie zu einem ernsthaften Dissens geführt. Der Mitteilung seines Büros zufolge hat Karsai jetzt gegenüber Panetta darauf gedrängt, die Besatzungstruppen aus den Dörfern abzuziehen und in ihren Stützpunkten zu lassen. Unmittelbarer Anlass dieser Forderung war die Ermordung von 16 Dorfbewohnern durch einen oder mehrere US-Soldaten am Sonntag.
Da Karsai für den Rückzug der NATO-Truppen aus den Dörfern offenbar keinen Zeitrahmen genannt und die Beschleunigung des Abzugsplans nur als Anregung ins Spiel gebracht hat, sind die unmittelbaren Auswirkungen dieser Episode gering. Sie wiegen aber schwer auf dem Gebiet der Propaganda: Die USA und ihre Verbündeten pflegen ihre „militärische Präsenz“ in Afghanistan als eine „Verpflichtung“ gegenüber dem Land und seinen Bewohnern darzustellen. Wenn nun selbst ihr Marionettenpräsident öffentlich deutlich macht, dass er sie lieber heute als morgen loswerden würde, lässt sich diese Darstellung schlechter aufrecht erhalten.
Die Taliban begründen ihren Rückzug von den Gesprächen mit der US-Regierung damit, dass diese einerseits Zusagen nicht eingehalten, andererseits immer neue Vorbedingungen nachgeschoben habe. Die Aufständischen sind offenbar vor allem unzufrieden, weil Washington die in Aussicht gestellte Entlassung von fünf afghanischen Gefangenen aus dem Lager Guantanamo ins arabische Fürstentum Katar, wo sie unter Hausarrest gestellt werden sollen, hinauszögert. Ein wesentlicher Grund dafür scheint zu sein, dass Präsident Barack Obama mit starkem Widerstand aus beiden großen Parteien gegen diesen Schritt konfrontiert ist.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 17. März 2012