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Moralische Aufrüstung

Obama ordnet militärische Eskalation in Afghanistan an. Mehr CIA-Agenten nach Pakistan.

Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat Barack Obama am Dienstagabend eine „umfassende neue Strategie für Afghanistan und Pakistan“ präsentiert. Dem selben Thema hatte der US-Präsident sich schon am 27. März ausführlich gewidmet. Nennenswerte Unterschiede zwischen beiden Reden gibt es nicht. Damals hatte Obama die Entsendung von 21.000 zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan angekündigt. Jetzt teilte er mit, dass er weitere 30.000 nachschieben will. Als Obama im Januar das Amt von George W. Bush übernahmen, waren erst 32.000 US-Amerikaner in Afghanistan stationiert.

Der Präsident hielt am Dienstag eine Propagandarede an die eigene Nation, die auch von den Ghostwritern seines Vorgängers hätte stammen können. In weiten Teilen bestand die Ansprache in pathetischem Selbstlob für „unser Land“, das in den letzten Jahrzehnten „besonders schwere Bürden auf sich genommen“ habe, ohne – im Gegensatz zu früheren Großmächten – jemals die Weltherrschaft angestrebt zu haben oder andere Länder besetzen zu wollen.

Schon vor der Rede waren die US-Medien sich einig gewesen, dass der Bevölkerung wieder einmal erklärt werden müsse, worum es in diesem Krieg eigentlich geht. Und so erzählte der Präsident die alte Geschichte von Al-Kaida, die sich seit nunmehr acht Jahren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet versteckt hält, in dieser Zeit keine nachgewiesenen Aktivitäten – außer dem Versand von Bild- und Tonträgern – unternommen hat, aber die sofort wieder zuschlagen würde, wenn sich die USA aus Afghanistan zurückziehen würden. „Was auf dem Spiel steht, ist nicht nicht nur die Glaubwürdikeit der NATO, sondern die Sicherheit unserer Verbündeten und die gemeinsame Sicherheit der Welt.“

„Moralische Aufrüstung“ ist bitter notwendig, denn laut einer gerade veröffentlichten Untersuchung des Gallup-Instituts billigen nur noch 35 Prozent der US-Amerikaner das Vorgehen ihres Präsidenten in Afghanistan. Vor vier Monaten waren es immerhin noch 56 Prozent gewesen. 39 Prozent der Befragten, darunter die Mehrheit von Obamas Wählern, sind dafür, sofort mit dem Truppenabzug zu beginnen.

Die Entsendung von 30.000 zusätzlichen Soldaten war die einzige wirklich konkrete Aussage in der halbstündigen Ansprache an der Militärakademie West Point. Das ist ungefähr die Mitte der seit September erörterten Optionen, deren Maximum bis einer Verstärkung um 60.000 oder sogar 80.000 Mann reichte. Die Stationierung soll in der ersten Jahreshälfte 2010 abgewickelt werden, sagte Obama. Das sei der frühestmögliche Zeitraum. Die New York Post schrieb indessen am Mittwoch, dass die ersten neuen Soldaten schon zu Weihnachten eintreffen sollen und dass die Verlegung bis Mai 2010 abgeschlossen werden soll.

Überraschend war die Ankündigung des Präsidenten, dass schon im Juli 2011 mit dem Abzug US-amerikanischer Truppen aus Afghanistan begonnen werden soll. Strebsame Kommentatoren machten daraus sogleich eine „Exit-Strategie“. Das gibt die Äußerung – die allerdings an drei verschiedenen Stellen in der Rede auftauchte – nicht her. Wichtig wäre zu wissen, in welchem Tempo und welchem Zeitrahmen ein Abzug geplant ist. Darüber schwieg Obama. Auch wenn er betonte, es handle sich nicht um ein „Open-End-Engagement“, machte er andererseits noch einmal deutlich, dass die US-Streitkräfte „ so lange wie nötig“ in Afghanistan bleiben sollen, also für unabsehbare Zeit.

Wie schon am 27. März sprach Obama in West Point von der „grundlegenden Verbindung zwischen unseren Kriegsanstrengungen in Afghanistan und den Extremisten-Schlupfwinkeln in Pakistan“. Nötig sei daher „eine Strategie, die auf beiden Seiten der Grenze funktioniert“. Außer Phrasen über „Partnerschaft“ und der Drohung, bekannte „Zufluchtsstätten der Terroristen“ in Pakistan nicht tolerieren zu wollen, hatte Obama allerdings nicht viel zu erzählen. Die New York Times wusste, gestützt auf Insiderquellen im Regierungsapparat, erheblich mehr zu berichten: Der Präsident habe bereits einen Plan der CIA genehmigt, der eine Ausweitung der Aktivitäten des Geheimdienstes in Pakistan vorsieht. Teil dieses Plans sei es, die Zahl der Drohnen-Angriffe auf pakistanische Ziele zu steigern, mehr Spione nach Pakistan zu schicken und die Geldmittel der CIA für Operationen in Pakistan kräftig zu erhöhen. Dazu könnte auch, so die New York Times, die Ausdehnung der Drohnen-Angriffe auf die Provinz Balutschistan gehören.

Schon am 20. November hatte das Blatt über eine lange Wunschliste berichtet, die Obamas Nationaler Sicherheitsberater General James L. Jones bei einem Besuch in Islamabad übergeben habe. Verlangt werde darin von der pakistanischen Regierung, ihren bisher auf den Nordwesten beschränkten Feldzug gegen die „Extremisten“ auf andere Landesteile und auf andere Organisationen als die bisher bekämpften auszuweiten. Nicht bekannt sei, ob diese Forderungen mit zeitlichen Befristungen verknüpft seien, schrieb die New York Times.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. Dezember 2009