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Kein Friedenssignal aus Afghanistan
Die dreitägige „Friedens-Dschirga“ in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist am Freitag mit einer nichtssagenden 16-Punkte-Erklärung zu Ende gegangen. Die inhaltliche Armseligkeit des knapp gehaltenen Textes unterschreitet noch die niedrigen Erwartungen, die von vornherein in diesen seit Monaten angekündigten Propaganda-Event zu setzen waren. Bemerkenswert ist einzig und allein der spontan hinzugefügte, in fast allen westlichen Mainstream-Medien verschwiegene oder gar nicht wahrgenommene Punkt 16: Darin wird der „inhumane Angriff“ Israels auf die Hilfsschiffe für Gaza „stärkstens verurteilt“. Die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft werden aufgefordert, „die brutale Abriegelung Gazas zu beenden“.
Der Beifall der NATO-Staaten war der Abschluss-Erklärung dennoch gewiss. „Diese Diskussionen sind der Beginn eines Prozesses, von dem wir glauben, dass er Afghanistan Stabilität und seinem Volk den lang ersehnten Frieden bringen kann“, hieß es in einer Stellungnahme der US-Botschaft in Kabul. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete den 16-Punkte-Text als „wichtigen ersten Schritt zu Reintegration und Versöhnung“. „Das afghanische Volk“ habe damit „eindrucksvoll seinen Willen zu einer politischen Lösung ausgedrückt“.
Einige Nachrichtenagenturen und Medien, darunter mit der Washington Post eine der bedeutendsten Tageszeitungen der USA, behaupteten, die Dschirga habe ihre „Unterstützung“ für die Absicht von Präsident Hamid Karsai bekundet, „Gespräche mit den Taliban zu führen“. Richtig ist hingegen, dass in der Abschluss-Erklärung das Wort „Gespräche“ oder ein vergleichbarer Begriff überhaupt nicht vorkommt.
Auch das Schlüsselwort „Versöhnung“ (reconciliation) ist im Text nicht zu finden. Es ist ausschließlich von „Wiedereingliederung“ (reintegration) die Rede. Letzteres meint lediglich den Versuch, einfache Aufständische und Angehörige der untersten Führungsebene durch Versprechungen zum Überlaufen zu veranlassen. Unter „Versöhnung“ hingegen wird ein Diskussions- und Verhandlungsprozess mit maßgeblichen Vertretern der Taliban und anderer bewaffneter Widerstandsorganisationen verstanden. Davon hat Karsai zwar bei früheren Gelegenheiten gesprochen, aber er hat diese Idee unter dem Druck der US-Regierung fallen lassen müssen.
Von vornherein von der Tagesordnung der Versammlung gestrichen war, einer Meldung der New York Times zufolge, eine Diskussion über den Verbleib der Interventionstruppen in Afghanistan. Tatsache ist, dass in der Abschluss-Erklärung zwar von einer künftigen, zeitlich völlig unbestimmten Übergabe der „Verantwortung“ an die afghanischen Sicherheitskräfte die Rede ist, nicht aber vom Abzug der NATO-Truppen. Im Gegenteil wird der Wunsch nach „langfristigen internationalen Verpflichtungen“ zum „Schutz“ Afghanistans geäußert. Die Bitte an die Interventen, „unnötige“ Verhaftungen sowie „willkürliche und unkoordinierte“ Haussuchungen zu unterlassen, bleibt sogar hinter manchen früheren Beschwerden Karsais zurück.
Sprecher der Taliban bezeichneten die Dschirga als „Versammlung von Regierungsunterstützern und Agenten der Ausländer“. „Alle diese Anstrengungen haben nur den Zweck, die Anwesenheit ausländischer Truppen zu verlängern.“
An der Dschirga nahmen 1500 bis 1600 Personen teil, die angeblich Stämme, Regionen und gesellschaftliche Organisationen repräsentieren sollten. Tatsächlich waren sie von der Kabuler Regierung sorgfältig ausgewählt worden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 7. Juni 2010