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Die Stunde der Wahrheit rückt näher
Afghanistan muss ein einheitlicher, zentral geführter Kriegsschauplatz der NATO werden. Die Soldaten aller NATO-Mitglieder müssen jederzeit für Kampfeinsätze in allen Landesteilen zur Verfügung stehen. - Das ist der Kern der Aussagen, mit denen Stephen Hadley, der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, am Mittwoch europäische Journalisten konfrontierte. Bisher ist Afghanistan in fünf regionale Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, die einzelnen NATO-Ländern unterstehen. Diese Trennung müsse aufgehoben werden, fordert Hadley.
Das ist ein überraschend massiver, deutlicher Vorstoß. So klar hatte sich bisher noch kein amerikanischer Politiker ausgedrückt. Für die regierenden Heuchler in Berlin wird die Luft dünner. Die Zeit, wo sich Deutschland am Afghanistan-Krieg beteiligen und gleichzeitig so tun konnte, als leiste die Bundeswehr dort eigentlich nur eine spezielle Form von Entwicklungshilfe, geht rasant ihrem Ende entgegen.
Fünf Jahre nach dem Einmarsch der US-Streitkräfte in Afghanistan hat die NATO den viel beschworenen "Kampf um die Herzen und Hirne der Bevölkerung" zumindest im Süden und Südosten des Landes offensichtlich verloren. Niemand zweifelt an der Fähigkeit und an der Bereitschaft der NATO, ohne große eigene Verluste Tausende von schlecht bewaffneten Menschen abzuschlachten, die ihre Dörfer gegen die Aggressoren verteidigen wollen. Das ist es, was in den kommenden Monaten geschehen soll. Der Widerstand wird dadurch nur breiter und stärker werden. Die NATO kann diesen Krieg endlos in die Länge ziehen und die Zahl der toten, verkrüppelten und ihrer Existenzgrundlagen beraubten Afghanen in die Höhe treiben. Und man kann dieses Massaker unter das zynische Motto der US-Regierung "Wir müssen den Job zuende bringen" stellen. Einen politischen Erfolg wird der Westen damit jedoch nicht erreichen, ganz im Gegenteil.
Liest man die inzwischen veröffentlichten internen Diskussionen des Politbüros der KPdSU, so fällt auf, dass neben den großen Verlusten der sowjetischen Streitkräfte auch menschliche Überlegungen, Mitleid mit der afghanischen Bevölkerung, eine Rolle spielte. Das ist ein Aspekt, der in den Kalkulationen der NATO überhaupt nicht vorkommt. Die Politiker und Militärs der USA und ihres britischen Juniorpartners richten sich auf zehn oder fünfzehn weitere Kriegsjahre am Hindukusch ein.
Es ist, geht man diesen Weg weiter, nur eine Frage der Zeit, bis auch die Bundeswehr direkt am Kampf gegen die afghanische Bevölkerung teilnehmen wird. Zum schnellstmöglichen Abzug aller deutschen Soldaten aus Afghanistan gibt es keine menschliche und vernünftige Alternative.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 23. Februar 2007