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Das Märchen vom Abzug

Die US-Regierung will ihre Soldaten noch mindestens zwölf weitere Jahre in Afghanistan lassen.  

Die USA und Afghanistan haben ihre Verhandlungen über eine langfristige „strategische Partnerschaft“ am Donnerstag offiziell wieder aufgenommen. Ziel der Gespräche ist ein Abkommen, das die „militärische Präsenz“ der USA über den vorgesehenen Abzugstermin Ende 2014 hinaus für mindestens zehn weitere Jahre sichern soll. Diese Vereinbarung soll gleichzeitig auch als Modell für ähnliche Abmachungen zwischen dem Kabuler Marionettenregime und anderen NATO-Staaten dienen. US-Präsident Barack Obama möchte das Abkommen möglichst noch vor dem NATO-Gipfel in Chicago am 20. und 21. Mai abschließen, um es dort bereits präsentieren und zur Grundlage von Beschlüssen machen zu können. Durch das Massaker, das von einem oder mehreren US-Soldaten am 11. März in zwei afghanischen Dörfern begangen wurde, war es zu einer kurzen Unterbrechung der Verhandlungen gekommen.

Drei als Kriegshetzer berüchtigte US-Senatoren haben sich am Mittwoch in einem Kommentar für die Washington Post zum Inhalt des angestrebten Langzeit-Abkommens geäußert. Die Republikaner John McCain und Lindsey Graham sowie der Unabhängige Joseph Lieberman – ein früherer Demokrat – treten schon seit einiger Zeit als unzertrennliches Trio in Erscheinung. Alle drei sind Mitglieder des einflussreichen Streitkräfteausschusses des Senats; McCain ist der ranghöchste Vertreter der Republikaner in diesem Gremium.

Die Senatoren fordern, dass zur langfristigen „militärischen Präsenz“ der USA in Afghanistan auch eine „counterterrorism force“, also praktisch gesagt Kampftruppen, gehören müsse. Diese solle Kapazitäten für Luftangriffe, militärische „Aufklärung“ und Spezialeinheiten einschließen. Praktisch würden diese Streitkräfte eine „Versicherungspolice“ gegen einen aus Sicht der USA unerwünschten Machtwechsel sein, schreiben die drei Politiker. Sie plädieren außerdem dafür, nach dem für September geplanten Abzug von etwa 22.000 US-Soldaten – es bleiben danach immer noch 68.000 – zunächst einmal eine „Denkpause“ einzulegen und die Truppenzahl bis mindestens zum Winter 2013 auf diesem Stand zu belassen.

Wie weit sich das wirklich von Obamas eigenen Absichten unterscheidet, also eines öffentlichen Appells in dieser Form bedarf, ist nicht ersichtlich. Eher ist es wohl ein Versuch, die eigenen Reihen auszurichten, denn viele Anhänger der Republikaner sind derzeit dafür, den nicht gewinnbaren Krieg in Afghanistan so schnell wie möglich zu beenden. Mit Newt Gingrich hat sich sogar einer der republikanischen Präsidentschaftsbewerber dafür ausgesprochen.

Dagegen plant das Pentagon, mindestens 5.000 Soldaten, vielleicht sogar bis zu 30.000, über das Jahr 2014 hinaus in Afghanistan zu lassen. Das zunächst auf zehn Jahre befristete Abkommen soll unbegrenzt oft und lange verlängerbar sein und auch die Nutzung von Stützpunkten einschließen. Als Hauptproblem in den Verhandlungen gilt die afghanische Forderung nach einem Veto-Recht gegen die überfallartigen nächtlichen „Razzien“ der US-Truppen.

Das Kabuler Marionettenregime hat indessen kaum Mittel, sich mit solchen Wünschen durchzusetzen. Präsident Karzai hat am Donnerstag die Erwartung geäußert, dass der Westen die afghanischen Sicherheitskräfte in den nächsten zehn Jahren mit jeweils 4 Milliarden Dollar subventionieren wird. Anders ist in der Tat nicht vorstellbar, dass Afghanistans maßlos aufgeblähter Militärapparat finanziert werden könnte. Das Land würde dadurch noch vor Israel (rund drei Milliarden Dollar jährlich) zum größten Empfänger direkter westlicher Militärhilfe.  

Knut Mellenthin

Junge Welt, 23. März 2012