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Bundeswehr: Noch tiefer in den afghanischen Sumpf
In kleinen, aber gezielten Schritten arbeitet sich Deutschland an Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan heran. Das Verteidigungsministerium hat zwei Missionen in den heftig umkämpften Südprovinzen des Landes genehmigt. Der erste Bericht darüber erschien in der Welt am Sonntag, der nach eigenen Angaben ein Papier aus dem Ministerium vorlag. In beiden Fällen lässt die Fadenscheinigkeit der offiziellen Begründungen kaum Zweifel, dass es sich lediglich um konstruierte Vorwände handelt.
Die erste Mission betrifft drei deutsche Soldaten, die in Südafghanistan - der Einsatzort ist nicht näher beschrieben - "bei der lokalen Bevölkerung für mehr Akzeptanz für die Internationale Schutztruppe ISAF werben" sollen. Das Team soll in Begleitung eines US-Offiziers "mit einem geschützten Fahrzeug als Lautsprecherträger eingesetzt werden". Was speziell deutsche Soldaten zu einem solchen Agitprop-Einsatz im Kampfgebiet qualifiziert, bleibt offen. Laut Verteidigungsministerium ist diese auf drei bis vier Wochen befristete Aktion "unabweisbar" und "für den Erfolg der Isaf-Gesamtoperation von hoher Bedeutung". Diese Formulierungen sind wichtig, denn nur so ist der Einsatz im Rahmen des vom Bundestag beschlossenen Mandats zulässig. Was jedoch der "unabweisbare" Zweck einer so kurzzeitigen Propaganda-Tätigkeit sein soll, wird nicht erklärt.
Die zweite Mission ist als "Dienstreise" eines dreiköpfigen sogenannten Operational Monitoring Teams in die südafghanische Provinz Helmand deklariert. Angeblich sollen die deutschen Soldaten dort erkunden, wie die "Einsatzbedingungen" für ein afghanisches Bataillon (rund 500 Mann) sind, die bisher im Norden von Bundeswehroffizieren ausgebildet wurden und die "demnächst" zur Aufstandsbekämpfung nach Helmand geschickt werden sollen. Das Team soll auf dieser "Dienstreise" auch klären, welche Ausrüstung für die afghanischen Soldaten erforderlich sei.
Zuvor hatte das Bundesverteidigungsministerium offiziell eine "afghanische Bitte" abgelehnt, dass 19 deutsche Soldaten ihre Schüler ins Kampfgebiet begleitet sollten. Aber das sieht eher nach einem Ablenkungsmanöver aus. Jedenfalls: Die Ausbildung des Bataillons ist praktisch abgeschlossen. Was zu diesem Zeitpunkt noch eine "Dienstreise" soll, um Fakten zu erkunden, die man vor dem Lehrgang hätte klären müssen und vermutlich wirklich schon längst geklärt hat, leuchtet nicht ein. Außerdem: Im Rahmen der Aufgabenteilung innerhalb der ISAF sind die britischen Streitkräfte für die Provinz Helmand - seit Monaten Schwerpunkt der militärischen Aufstandsbekämpfung - zuständig. Ist wirklich vorstellbar, dass afghanische Soldaten ohne jede Beteiligung britischer Offiziere von Deutschen, die noch nie in einem Kampfeinsatz waren, für Front-Operationen ausgebildet werden? Oder kann es sein, dass die "deutsche Öffentlichkeit" von unserer Regierung ganz dreist für dumm verkauft werden soll?
Aber wo weder Politiker noch Journalisten ernstlich nachfragen, hat das Verteidigungsministerium es leicht, sich in Schweigen zu hüllen. So auch zur möglichen Rolle deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge bei der Vorbereitung der verheerenden NATO-Luftangriffen der vorigen Woche. Nach unvollständigen Angaben afghanischer Behörden wurden dabei mindestens 70 Zivilisten getötet. Über 50 allein in der westafghanischen Provinz Herat, in der es bisher keine nennenswerte Aufstandstätigkeit gab. Das US-Militär behauptet, man habe in Herat 136 "Taliban" getötet. Über zivile Opfer sei "nichts bekannt". Man muss das wohl so interpretieren, dass die NATO-Streitkräfte absolut nicht wissen, was auf dem Boden wirklich los ist.
Nach Angaben einer afghanischen Menschenrechtsorganisation in Herat wurden durch die Luftangriffe Hunderte Häuser zerstört; 1600 Familien seien obdachlos geworden. Offenbar weitet die NATO ihre Taktik aus, Kampfflugzeuge massiv gegen Häuser und Dörfer einzusetzen, um die eigenen Verluste möglichst gering zu halten. Dass dies nicht nur barbarisch ist, sondern immer größere Teile der Bevölkerung gegen die NATO-Intervention aufbringt, ist bekannt. In mehreren Städten und Orten kam es in der vorigen Woche zu Protestdemonstrationen gegen die NATO und die Regierung Karzai.
Knut Mellenthin
Erweiterte Fassung eines am 7. Mai 2007 in der Jungen Welt erschienenen Artikels